Was dürfen Zeitungen über Prominente berichten? Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur noch das, was genehm ist. Nun fordern 43 deutsche Chefredaktoren Gerhard Schröder auf, in Brüssel für die Pressefreiheit zu kämpfen, wie «Die Welt» am Montag berichtet. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit ist eine Entwicklung eingetreten, die eine Grundfeste unserer Demokratie bedroht - die Pressefreiheit. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte soll künftig eine Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens nur zulässig sein, soweit es um deren offizielle Funktion geht. Wie sich diese Personen sonst verhalten, mit wem sie sich treffen, mit wem sie Geschäftskontakte haben oder von wem sie sich den Urlaub bezahlen lassen, darf dann nicht mehr berichtet werden. Was unter dem Vorwand, die Privatsphäre vor Paparazzi zu schützen, beschlossen wurde, hat dramatische Folgen für die Medien insgesamt. Wenn die Bundesregierung gegen dieses Urteil keine Berufung einlegt, werden allen seriösen Journalisten die Hände gebunden.
Es ist damit zu rechnen, dass Berichte unzulässig werden wie über die private «Adlon-Sause», die sich Ex-Bundesbank-Präsident Welteke von einer anderen Bank finanzieren liess, die anrüchigen Aktiengeschäfte des ehemaligen IG-Metall-Chefs Steinkühler, die Putzfrauen-, Billigmieten- und Ikea-Affäre von Ex-Ministerpräsident Biedenkopf, die Verbindungen des Ex-Verteidigungsministers Scharping mit dem PR-Berater Hunzinger, das wenig adelige Verhalten des Prinzen Ernst August von Hannover am türkischen Expo-Pavillon.
Über all dies soll nur noch mit Einwilligung der Betroffenen berichtet werden dürfen. Damit wird die wichtigste Aufgabe der freien Presse, den Mächtigen auf die Finger zu schauen, massiv behindert. Solche Personen können dann steuern, ob und was über sie berichtet wird. Der Bock wird zum Gärtner gemacht. Abgeordnete könnten jede politische Berichterstattung verhindern, indem sie - wie vor der Nominierung des jetzigen Bundespräsidenten geschehen - ihre Treffen vom Parlament in Privathaushalte verlegen.
Wenn das geschieht, ist die Pressefreiheit bei uns Vergangenheit, so die führenden Journalisten Deutschlands. Entstehen würde ein Zerrbild von diesem Lande. Ein Bild jenseits von Wahrheit und Wirklichkeit. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs trifft - so der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Professor Dieter Grimm - die Funktion der Presse im Kern. Die Bundesregierung hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs bisher nicht angefochten. Wenn sie bei dieser Haltung bleibt, entsteht schwerster Schaden für unsere Demokratie.
Die Chefredaktoren fordern deshalb die Bundesregierung auf, diese Entwicklung zu stoppen. «Bewahren Sie die Pressefreiheit!», fordern sie von Gerhard Schröder. Sie sei die Basis jeder politischen Freiheit, fordern unter anderen Stefan Aust, Chefredaktor «Der Spiegel», Carsten Erdmann, Chefredaktor «Berliner Morgenpost», Florian von Heintze, Chefredaktor BZ, Christoph Keese, Chefredaktor «Welt am Sonntag», Thomas Osterkorn, Chefredaktor «Stern».
Montag
30.08.2004