Der Verein Medienkritik Schweiz hat am Dienstag, 6. Juni, in Bern einen Parlamentarieranlass durchgeführt, an dem die verschiedenen Facetten der Schweizer Medienpolitik beleuchtet wurden. Der Rechtsanwalt Philip Kübler hielt dabei vor einer Gruppe ausgewählter Parlamentarier, vor Bakom- und Post-Vertretern, Medienwissenschaftlern sowie Verlagsvertretern ein Referat zum Thema «Medienpolitik: Rechtliche Leitplanken».
Kübler ist Dozent für Medienrecht an der Universität Zürich, Institut für Publizistik- und Medienwissenschaft (IPMZ). Er ist langjähriges Mitglied des Schweizerischen Presserates und leitet den Rechtsdienst der Swisscom. Er ist zudem Vorstandsmitglied von Medienkritik Schweiz. Für den Klein Report hat Philip Kübler eine Kurzversion seines Referats aufbereitet, welche die rechtlichen Leitplanken der Medienpolitik und die Medienförderung in den Mittelpunkt stellt:
Politische Ideen zur Kommunikations- und Medienlandschaft sind beliebt. Die Leidenschaft gilt meist nicht einem durchdachten Konzept zur sorgfältigen Steuerung der Medienlandschaft Schweiz, sondern eher einem einzelnen Anliegen oder einer konkreten Lösung: Die Radio- und Fernsehgebühren halbieren, unerwünschte Inhalte aus den Handys der Jugendlichen verbannen, die Postzustellung von Zeitungen fördern. Oft sind solche Vorstösse die Speerspitze eines grösseren Anliegens: Die privaten Medienunternehmen stärken, das Internet unter Kontrolle bringen, die Bedeutung der Presse bewahren. Doch ein konkretes Anliegen macht noch keine kohärente Medienpolitik. Medienpolitische Ballone verlocken zu Rückfragen: Warum die Gebühren nur halbieren? Warum den Jugendschutz auf Handys beschränken? Warum soll die Post Zeitungen selektieren und subventionieren? Unerwünschte Verzerrungen des publizistischen und des kommerziellen Wettbewerbs lauern in jeder Ecke.
Eine kohärente Medienpolitik muss ihre Ziele klarstellen, die Bedeutung der Medien für die Demokratie berücksichtigen und sich von der Medienwissenschaft inspirieren lassen. Ohne Zielbestimmung wird nicht klar, wie sich der jeweilige Vorstoss auswirken soll und welche Medienlandschaft angestrebt wird. Ohne Bezug zur demokratischen Leistung der Medien geht der zentrale Grund vergessen, warum wir freie und vielfältige Medien brauchen. Und ohne Beizug von Fachleuten und Stimmen aus der Wissenschaft werden die Zusammenhänge - und oft die Nachteile - einer Medienregulierung unterschätzt.
Die Medienförderung ist ein Kernthema der Medienpolitik. Sie wird auf Bundesebene unter dem Stichwort «Zukunft der Medien in der Schweiz» behandelt. Der dazugehörende Bericht des Bundesrates wird sich auf wissenschaftliche Studien und eine Reihe von Stellungnahmen stützen und soll noch diesen Sommer erscheinen. Die Aufgabe der Politik ist es immer, das geltende Recht zu überprüfen und bei Bedarf zu ändern. Medienpolitik mündet in Medienrecht. Die Frage der Politik ist: Passt uns das Recht - passt es noch? Die Frage des Medienrechts ist: Wo und wie lässt sich das politische Anliegen wirksam regeln? Welcher Rahmen ist zu beachten?
Nachfolgend wird gezeigt, was die Schweizerische Bundesverfassung zu den Medien sagt - und was sie nicht sagt: In der Bundesverfassung steht wenig über die Medien. Artikel 17 hält in kurzen Sätzen fest: Die Medienfreiheit und das Redaktionsgeheimnis sind gewährleistet und die Zensur ist verboten. Eine zweite Bestimmung in der Bundesverfassung befasst sich mit dem Rundfunk (Artikel 93). Die Gesetzgebung zu Radio und Fernsehen und «zu anderen Formen der öffentlichen Verbreitung von Darbietungen und Informationen» (z.B. Internet) soll Sache des Bundes sein: eine typische Kompetenznorm. Sodann sollen Radio und Fernsehen zur Bildung und kulturellen Entfaltung beitragen, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung (Absatz 2). Ihre Unabhängigkeit und die Programmfreiheit sind gewährleistet (Absatz 3). Auf die Stellung und die Aufgabe anderer Medien, vor allem der Presse, ist Rücksicht zu nehmen (Absatz 4). Der fünfte und letzte Absatz dieser Verfassungsbestimmung sieht eine unabhängige Beschwerdeinstanz für Programmbeschwerden vor.
Die Bedeutung der Medien als Ganzes und jene der Presse im Besonderen sind also kaum abgebildet. Radio und Fernsehen dagegen werden immerhin mit einer klaren Bundeskompetenz und mit einer Zweckbestimmung angesprochen, welche sogar die Unterhaltung erwähnt. Das ist alles, was die Bundesverfassung zu den Medien zu sagen hat, sieht man von einer mittlerweile ausgelaufenen Übergangsbestimmung zur reduzierten Mehrwertsteuer ab. Aussagen zur Bedeutung und Stellung der Medien sucht man vergeblich. Von Förderung der Medien steht nichts. Liest man die Bundesverfassung, so erscheint der Journalismus als gänzlich private Veranstaltung zu privaten Zwecken. Im Gegensatz dazu ist in der Bundesverfassung Förderung sehr wohl ein Thema: Gefördert werden Kinder und Jugendliche, Familien, die Beziehungen zu Auslandschweizern, Demokratie im Ausland, Forschung, Ausbildung, Kunst und Musik, Sprachen, Filme (also Medienprodukte im weiteren Sinn), die Landwirtschaft, das Wohneigentum und einiges mehr.
In der Praxis wird angenommen, dass die Finanzierung der SRG und ausgewählter privater Veranstalter durch Gebühren (Radio- und TV-Gesetz) der Verfassung entsprechen. Ebenso die verbilligte Postzustellung von Zeitungen und Zeitschriften. Für diese Auffassung spricht, dass die beiden Instrumente seit langer Zeit bekannt sind und bereits existiert hatten, als die Bundesverfassung 1999 revidiert wurde. Doch es bleibt die Frage, warum die Verfassung die Medienförderung nicht erwähnt: Das erste Problem jeder Medienförderung ist somit jenes der Kompetenz, der Rechtsstaatlichkeit. Es ist zumindest zweifelhaft, dass die ausserhalb des Rundfunks nur knappe Erwähnung der Medien als Verfassungsgrundlage für eine Förderung genügt. Eine neue Verfassungsbestimmung könnte dieses Problem lösen. Die zweite Frage ist, wann eine staatliche Förderung die Medienfreiheit verletzt, etwa indem ein inhaltlicher staatlicher Anspruch an Medienqualität durchgesetzt würde. Denn auch anspruchslose Publikationen stehen unter dem Schutz der Medienfreiheit.
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hatte im Juli 2003 eine Verfassungsbestimmung vorgeschlagen. Der Bund sollte dazu verpflichtet werden, die «Vielfalt und Unabhängigkeit der Medien» zu fördern. Der Vorstoss zeigt, dass eine substanzielle Medienförderung auf eine Verfassungsgrundlage angewiesen ist und mit Vorteil auf Gesetzesebene konkretisiert wird. Aufschlussreich sind die Entstehung, der politische Verlauf und das Schicksal der parlamentarischen Initiative, welche in die Stellungnahme von 2003 mündete. Der Bundesrat lehnte es bei allem Wohlwollen ab. Er bemängelte in erster Linie die Strukturerhaltung, die er im Bewahren einer vielfältigen Presse erkannte. Er erklärte sich aber wie die meisten Beteiligten offen für einen Medienartikel in der Bundesverfassung.
Diese Diskussion wurde seither nicht mehr aktiv aufgenommen. Sie wird bald belebt werden: Der noch dieses Jahr erscheinende Bundesratsbericht wird mögliche Ziele der Medienpolitik nennen, er wird die Bedeutung der Medien für die Demokratie berücksichtigen und er wird die Befunde der Medienwissenschaft heranziehen.