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Mittwoch
05.04.2006

Weil er im Sommer 2005 einen Vorentwurf zum neuen Staatsschutzgesetz veröffentlicht hatte, steht «Weltwoche»-Journalist Urs Paul Engeler seit Mittwoch vor Gericht. Er sieht sich als Opfer von Beamtenwillkür bei Bundesanwaltschaft und Bundespolizei. Engeler hatte im August 2005 einen als vertraulich deklarierten Vorentwurf aus dem Bundesamt für Polizei zum neuen Staatsschutzgesetz publiziert. In seinem Artikel kritisierte er eine «totale Überwachung der Bürger».

Auf Grund einer Strafanzeige der Bundesanwaltschaft hatte ihm der zuständige Berner Untersuchungsrichter Ende Januar eine Busse von 600 Franken auferlegt, wegen der «Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen» gemäss Artikel 293 des Strafgesetzbuches. Engeler focht das Strafmandat an, weshalb er am Mittwoch vor der zuständigen Strafeinzelrichterin anzutraben hatte. Er habe die von den Bundespolizisten geplanten «gravierenden Eingriffe in die Freiheit der Bürger» der politischen Diskussion zugänglich machen wollen. Das öffentliche Interesse am Inhalt des Vorentwurfs habe er über allfällige Bedenken wegen der deklarierten Vertraulichkeit gestellt.

Engeler kritisierte die Praxis, mit der Dokumente von Beamten als vertraulich oder geheim klassiert würden. Jeder Beamte könne heute willkürlich «auf jeden Mist den Vertraulich-Stempel drücken». Als Journalist fühle er sich «daran nicht gebunden». Engeler berief sich auch auf das Vorgehen von Justizminister Christoph Blocher, der Anfang Februar selber einen zweiten Vorentwurf des Staatsschutzgesetzes ins Internet gestellt hatte, in der Folge jedoch vom Gesamtbundesrat zurückgepfiffen worden war.

Auch was die Verfolgung angeblicher Verstösse gegen Artikel 293 StGB betreffe, herrsche «totale Willkür», sagte Engeler. Würden alle entsprechenden Delikte verfolgt, «müssten wöchentlich drei Journalisten verurteilt werden». Eine liberalere Praxis als die Berner Justiz übe etwa jene im Kanton Zürich, wo eine entsprechende Anzeige gegen ihn im Papierkorb gelandet sei. Im vorliegenden Fall lief die Akte Engelers bei der Bundesanwaltschaft offenbar unter dem Titel «Operation Mondo», wie im Rahmen der Verhandlung bekannt wurde - für den Journalisten «ein klares Indiz », dass man etwas gegen die «Weltwoche» machen wollte.

Ins Visier nahm Engeler aber auch Urs von Däniken, den Autor des Vorentwurfs und Chef der Hauptabteilung Dienst für Analyse und Prävention im Bundesamt für Polizei. «Ein empflindliches Gemüt» könne die Anzeige als Retourkutsche von Dänikens interpretieren, immerhin pflege er zu dem Bundespolizisten seit Jahren «ein intensives journalistisches Verhältnis». Nach der Einvernahme dürfte das Gericht die Hauptverhandlung und das Urteil frühestens auf Juni ansetzen. Eine mögliche Aufhebung der Strafnorm 293 für Journalisten dürfte für ihn zu spät kommen. Justizminister Blocher war Mitte März vom Bundesrat beauftragt worden, eine entsprechende Gesetzesänderung zu prüfen. - Siehe auch: Urs Paul Engeler wieder gebüsst und Busse trotz Freispruch für «Bunker-Verräter»