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Dienstag
10.04.2012

Das kann sich nur ein Titel der «alten Tante» NZZ leisten: Zum Jubiläum mit etwas so Unspektakulärem wie dem Thema «Haustiere» aufwarten. «NZZ Folio» tut es und ist vielleicht gerade deshalb so erfolgreich. Nächsten Monat erscheint die 250. Ausgabe einer Monatszeitschrift, welche sich dem Zeitgeist verweigert, statt Häppchenjournalismus Themenhefte liefert und sich sogar Langzeitthemen widmet, an welchen ein volles Jahr recherchiert wird.

«Ich habe einen absoluten Traumjob», freut sich «Folio»-Chefredaktor Daniel Weber im Gespräch mit dem Klein Report; seit der ersten Ausgabe im August 1991 ist er dabei. Das sieht auch seine Redaktion so, von der Gründungsmannschaft von damals arbeitet die Hälfte noch immer beim «Folio». Die andere Hälfte, drei Leute, sitzen derzeit in Bombay und recherchieren für ein Sonderheft zur grössten Stadt Indiens. Wahrlich ein Traumjob! Kein Wunder, dass sich für das einjährige Volontariat jeweils so viele (über hundert) Bewerber meldeten, dass mittlerweile eine Vorprüfung abgelegt werden muss, um überhaupt in die Auswahl zu kommen.

650 000 Leser hat das «Folio» nach neuesten Wemf-Zahlen, aber für ein so gehobenes Medium braucht man nach Ansicht seiner Macher auch keine Million Leser. Weber: «Wir sind die Nummer eins unter den Top-Leadern und den Leadern, und weibliche und männliche Leser halten sich fast die Waage.» Mehr als solche Zahlen freuen den Chefredaktor jedoch ganz andere, zum Beispiel wenn eine deutsche Privatbank 250 Exemplare der Ausgabe zur Finanzkrise nachbestellt: «Ich war natürlich auch ein wenig beunruhigt. Wo sind wir denn, wenn eine Bank mittels `Folio` ihren Mitarbeitern ihre Probleme erklären muss?»

Keine Nachbestellungen aus Palermo gab es seinerzeit für das Themenheft «Mafia», doch ein trauriges Nachspiel. Weber: «Ein Drittel der Protagonisten, die wir damals porträtierten, alle diese mutigen Staatsanwälte und Richter, sind in der Folge umgebracht worden.»

Irgendwie hatte das «Folio» seit jenem traurigen Mafia-Heft immer ein goldenes Händchen für die richtige Themenwahl. Etwa mit dem ersten Langzeitprojekt überhaupt, dem Heft über 13-Jährige, das zum meistgelesenen in der «Folio»-Geschichte werden sollte. Weber: «Es erschien im August 2007, nachdem der Vergewaltigungsfall in einer Schule in Zürich-Seebach wochenlang Schlagzeilen gemacht hatte - und korrigierte das verzerrte Bild, das die Medien von den Jugendlichen zeichneten.»

Oder mit dem Atomheft, das ab Sommer 2010 für den April 2011 vorbereitet worden war und dann genau in dem Moment in Druck ging, als die Nuklearkatastrophe von Fukushima die Bevölkerung Tag und Nacht beschäftigte. «Das war damals extrem schwierig für den Werbemarkt», erinnert sich Andreas Häuptli, Leiter Product Management NZZ-Zeitschriften, «und das einzige Mal in der Geschichte des `Folio`, dass massenhaft Anzeigen storniert wurden.»

Werbekillerthemen sind laut Häuptli auch Themen wie Tod, Seelennot, Schmerz oder Angst. Was die Redaktion jedoch nicht davon abhält, solche Themen weiterhin zu bearbeiten, «und nicht zuletzt deshalb ist das `Folio` die Perle unter unseren Zeitschriftentiteln». Sechs sind es mittlerweile, eben ist mit dem «Gentlemen`s Report» Ende März der jüngste auf den Markt gekommen.

Langzeitprojekte liegen den «Folio»-Machern fast noch mehr am Herzen als die herkömmlichen Themenhefte. «Vorbedingung ist dabei stets, dass wir ungehinderten Zugang zum ganzen Unternehmen haben», erklärt Chefredaktor Weber. «Das war auch bei den Heften zum HB Zürich oder zum Swiss-Flug LX 14 so, wo noch der damalige CEO Christoph Franz höchstpersönlich dafür sorgte, dass es keine Blackboxes und verschlossenen Türen gab.»

Die schönsten Komplimente sind für die «Folio»-Redaktion dann immer auch jene aus den porträtierten Unternehmen selbst, etwa wenn sich Swiss-Piloten melden und erzählen, jetzt wüssten sie endlich, was sie da durch die Luft kutschierten und welcher Aufwand hinter jedem ihrer Flüge stünde. Chefredaktor Daniel Weber: «Wir schreiben zwar nicht für Spezialisten, wir sprechen alle an, die sich für ein Thema interessieren, aber wir haben schon den Ehrgeiz, dass möglichst auch die Insider noch etwas Neues erfahren.»

Seit dem 12. März arbeiten die «Folio»-Redaktoren mit Hochdruck an einem Langzeitprojekt übers Militär: 21 Wochen lang wird eine Infanterierekrutenschule («Füsle, nichts Elitäres!») in Neuchlen SG begleitet, im März 2013 wird das Heft am Markt sein.