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Mittwoch
30.03.2011

Ein TV-Spot berührt derzeit die Herzen der Schweizerinnen und Schweizer: Ein stark behinderter junger Mann verkleidet sich für Pro Infirmis als Bär und stellt sich im Bärenkostüm auf einen Platz. Als er die Arme ausbreitet, umarmen in die Passanten spontan. Dass im Kostüm ein Mann mit Behinderung steckt, bleibt unbemerkt. Am Schluss zieht Fabian seinen Bärenkopf ab und die Frage wird eingeblendet: «Müssen wir uns verkleiden, damit wir uns näher kommen?»

Eine Botschaft, die haften bleibt und für die man Pro Infirmis und ihre Werbeagentur Jung von Matt/Limmat beglückwünschen möchte. Allerdings: Aufmerksame Menschen mit und ohne Behinderung, welche den TV-Spot angeschaut haben, haben festgestellt, dass die an sich gute Idee einerseits nicht ganz so neu ist und andererseits durchaus missverstanden werden kann.

Der Klein Report bekam am Dienstag einen Hinweis, dass die Pro-Infirmis-Kampagne «das Plagiat einer Aids-Präventionskampagne vom letzten Jahr mit dem gleichen Plot» sei. In der Tat sind beim leicht im Internet auffindbaren Spot einige Ähnlichkeiten feststellbar: Die besagte Kampagne des deutschen Werbefilmregisseurs Florian Meimberg zeigt einen Mann im weissen Bärenkostüm, der sich von begeisterten Passanten umarmen lässt. Als er seinen Bärenkopf auszieht, kommt ein wilder Rocker zum Vorschein. Die Botschaft lautet: «You can`t see H.I.V., but you can prevent it. Use condoms.»

Damit nicht genug: Die Idee, mit Umarmungen Gesellschaftsprobleme lösen zu können, wurde sogar schon 2007 von der Agentur BETC Euro RSCG umgesetzt. In ihrem Spot liess sich ein Mann mit einem «Free Hugs»-Schild von Passanten umarmen. Der Spot endet mit der Einblendung: «Aids is not transmitted by this. But love is. Together let`s fight against discrimination.» Ganz so neu ist der Pro-Infirmis-Spot also nicht. Alles Zufall?

Wenige Wochen, nachdem die Medien ausführlich über sexuelle Übergriffe in Behindertenheimen berichtet haben, suggeriert ein Spot, man solle Menschen mit Behinderungen umarmen. Dabei wollen die Behinderten doch auch weiterhin selber entscheiden können, wann und von wem sie berührt werden wollen - selbst wenn es ihnen oftmals schwer fällt, ihre Wünsche in für das Gegenüber klare Worte zu fassen. Bei Procap, der grössten Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Handicap, weiss man daher nicht so recht, was man vom Pro-Infirmis-Spot halten soll. «Der Spot ist hochemotional und berührt die Leute. Er thematisiert ein wichtiges Thema: Viele Bürger haben Hemmungen, auf Menschen mit Behinderungen zuzugehen. Doch nur, wenn die Gesellschaft diese Hemmungen überwindet und sie will, dass Menschen mit Behinderung überall dabei sind, wird sie sich wirklich dafür einsetzen, das Menschen mit Behinderung überall Zugang haben», erklärte Bruno Schmucki, Marketingleiter von Procap, gegenüber dem Klein Report am Dienstag.

Allerdings stelle sich die Frage, ob mit dem Spot die richtigen Ängste gegenüber Behinderten abgebaut würden. Schliesslich seien ja nicht Berührungsängste an sich das Problem. «Wer sagt denn, dass Menschen mit Behinderung von wildfremden Mensche überhaupt berührt werden wollen? Auch sie haben ein Recht auf eine Privat- und Intimsphäre», gibt Schmucki zu bedenken. Er hofft daher, dass die Pro-Infirmis-Kampagne diese Punkte auch ansprechen werde. Sein Fazit aber: «Der Spot ist gelungen, es ist wichtig, auf die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen.»

Vergleichen Sie die drei Spots gleich selber:
Pro-Infirmis-Bär: www.youtube.com/watch?v=ocBh9bgph_g
Weisser «Aids»-Bär: www.florian-meimberg.com
«Free Hugs»-Kampagne: www.youtube.com/watch?v=r4vBX38T_38