In Berlin hätten Kommunikations- und Medienwissenschaftler ihre Forschungen zur Kommunikation in städtischen Räumen präsentieren sollen. Sie taten es mehrheitlich nicht, sondern schleusten sich mit anderen Themen in die Tagung. Das ist verständlich, aber mitunter bedauerlich. Für den Klein Report kommentiert Roger Blum.
«Media Polis - Kommunikation zwischen Boulevard und Parlament» war die Überschrift der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) in Berlin. Professorin Barbara Pfetsch und ihr organisierendes Institut wollten damit «zur wissenschaftlichen Reflexion über die Entwicklungen und Problemlagen von Grossstadtkommunikation vor dem Hintergrund des vielfach konstatierten Medienwandels einladen». Und sie wollten Forschung über Kommunikation in den urbanen Zentren, über die Medien der Stadt anregen. Doch nur wenige Beiträge folgten diesem Impuls.
Die meisten Medienforscherinnen und -forscher reichten Beiträge ein, die sie ihren laufenden Forschungsprojekten entnahmen und bei denen sie irgendwo den Zusatz «in der Stadt» beifügten und so taten, als forschten sie über urbane Räume. Professor Matthias Karmasin von der Universität Klagenfurt bekannte freimütig, er und seine Forscherkollegen hätten überlegt, wie sie bei ihrem Projekt, das sich mit der Selbstregulierung der Medien befasst, einen speziellen Bezug zur Stadt herstellen könnten, und erklärte, wie sie den Dreh fanden: Zwei der drei Presseräte in deutschsprachigen Ländern haben ihren Sitz in der Hauptstadt, in Berlin und in Wien (während der Sitz des schweizerischen Interlaken ist). Ähnlich umgingen fast zwei Drittel der Vortragenden das Tagungsthema. Von den über 80 Referaten, die an der Tagung in Berlin gehalten wurden, befassten sich nur 15 wirklich mit der Stadt; weitere 19 bezogen sich immerhin auf urbane Räume. Und extrem selten führte jemand extra für diese Tagung eine Studie durch - anders etwa als für die gleichzeitig im Martin-Gropius-Bau gezeigte Ausstellung «Art and Press», für die viele Künstler eigens Werke entwickelten.
Warum ist das so? Und warum ist das zumindest eine vertane Chance?
Zwei Gründe sind zentral: Erstens gibt es zu wenig Forschung über die Kommunikation in den urbanen Zentren. Weil die Organisatoren das wussten, interpretierten sie das Thema relativ weit, und die Gutachter liessen offenbar auch entsprechend grosszügig Beiträge zu. Zweitens sind Kommunikationswissenschaftler heute akademisch nur konkurrenzfähig, wenn sie möglichst viel und in renommierten englischsprachigen Fachzeitschriften publizieren. Um dort überhaupt berücksichtigt zu werden, müssen sie mit theoretisch fundierten und empirisch überzeugenden Beiträgen aufwarten. Diese setzen Forschungsprojekte voraus, für die sie entsprechend Geld eingeworben haben, die länger laufen und grosse Datensätze erzeugen. So legen die Forschenden an Tagungen immer neue Abwandlungen und Perspektiven desselben Themas vor.
Diese Gepflogenheit sichert auf der einen Seite ihre Konkurrenzfähigkeit und ihr Ansehen in der Wissenschaftsgemeinschaft. Denn der internationale wissenschaftliche Wettbewerb funktioniert ausschliesslich auf diese Weise. Wer sich dem entzieht, muss fürchten, weg vom Fenster zu sein. Auf der anderen Seite birgt diese Vorgehensweise ein hohes Risiko, Chancen zu verpassen. Gerade wichtige Tagungen wie die in Berlin könnten ein Forum sein für den Diskurs - den allgemeinen Diskurs sowie den über neue Forschungsimpulse. Doch dieser eher «experimentelle» Raum wird zu wenig bespielt. So kam in Berlin kaum ein Diskurs zustande über die Kommunikation in der Stadt: Wie hat sich die urbane Kommunikation historisch entwickelt? Wie unterscheidet sich die Mediensituation in den Zentren von jenen im Umland und in Randgebieten? Welches sind die Defizite der urbanen Kommunikation? Und welche Forschungslücken sind zu schliessen? Fragen, für die Erkenntnisse fehlen und für die diese Tagung Raum geboten hätte - sowie für die überfällige wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Kommunikation in urbanen Räumen. Leider war dies nicht der Fall - das eigentliche Thema wurde zu oft umschifft.