Zum ersten Mediapodium hat das MAZ Verleger und Chefredaktoren sowie Hauptdozierende und Gremienmitglieder ins KKL geladen. Dort drehte sich am Mittwoch alles um die Frage «Citizen Journalism - Können alte Medien in der neuen Welt überleben?» Zu diesem Trend-Thema, das nun auch die Schweiz ergreift, referierten internationale Top-Shots.
Mit dem Aufkommen des Internets hat sich auch die Rolle der Journalisten geändert, denn mit der technischen Vereinfachung des Publizierens, zum Beispiel mit Hilfe von Weblogs, kann quasi jeder seine eigene Publikation im Netz starten. «Leser und Nutzer werden immer mehr zu Lieferanten von Informationen, sie wollen ernst genommen werden und selbst agieren: Downloader werden zu Uploader», so MAZ-Direktorin Sylvia Egli von Matt in ihrer Begrüssung. Im Ausland verstehen sich nationale und lokale Medien bereits als eigentliches «Citizen Forum» oder als «lokale Ombudsstelle». Das bedingt eine Debatte über die Zukunft der Medien und des Journalismus - und auch der künftigen Journalistenausbildung. Quellen- und Faktenüberprüfung sowie Selektion werden in Zukunft noch bedeutender werden. Das erfordert entsprechende Rahmenbedingungen: Zeit-, Sach- und Fachkenntnisse sowie Erfahrung.
Bill Kovach, Gründer und Director des American Commitee of Concerned Journalists stellte die zunehmende Bedeutung der Publikumsbeteiligung in traditionellen Medien dar, wies aber auch gleichzeitig darauf hin, dass entsprechende Tools zur Ermittlung der Glaubwürdigkeit dieser neuen Inhalte noch zu definieren seien: «Clearly as citizen become editors of their own knowledge of the outside world, the role of journalists now encompasses a vital new important challenge: to find tools that will enlist their methodology of verification in a more citizen oriented way to help the public balance what they are told daily by the populare culture and political spin by self-serving promotion and propaganda. And do this in a faster, freer and looser athmosphere of argument and assertion that has little time or patience for verifications.» Journalisten und Mainstream-Media sollten die «veraltete Gatekeeper-Rolle» aufgeben und sich eher als «Sinn-Macher» verstehen. Als Synthesizer, die die Dinge miteinander verbinden und sie dadurch auch in einem verständlicheren Zusammenhang erscheinen lassen. Journalismus muss transparenter werden, so Bill Kovach.
Pete Cliffton, Head of BBC interactive, strich die zunehmende Bedeutung der Leser-generierten Inhalte heraus. Mittels eines Hubs werden in der BBC-Redaktion die Leser-Inhalte, seien dies Texte, Fotos oder auch zunehmend Handy-Videos, kanalisiert und von sechs Redaktoren kontinuierlich von 6.00 Uhr bis 24.00 Uhr gesichtet, auf Verwertbarkeit gecheckt und die Fakten überprüft. «The devlopment of the hub has been a significant benefit to the News-site. Not only do we get a range of the material it has also raised our profile significantly in the BBC News. Now we find ourselves much closer in the heart of things», so Cliffton. «The message is clear for BBC News across all its platforms - finding new ways to celebrate and showcase content from the audience. This has to be one of the key challenges in the month and years ahead.»
Der freie Journalist und Blogger Mario Sixtus aus Düsseldorf bemängelte hauptsächlich die Einstellung der professionellen Journalisten gegenüber Weblogs resp. Citizen Journalism. Das Weblog sei das erste Format, das aus dem Internet entstanden sei, darum sei es schwer nachzuvollziehen, warum Journalisten immer wieder von Bloggern erwarten würden, dass sie die journalistischen Normen einhielten. «Blogs sind keine Homepages, keine Tagebücher im Internet, Blogs sind Blogs. `Blogs verhalten sich zu Websites, wie Würfel zu Quadraten.` Das Internet sei nicht nur ein Publikationsraum, sondern ein Resonanzraum, ein Disskussionsraum. Blogs sind Gespräche, es geht nicht um fertigen Kram, der hier publiziert wird, hier werden Rohinformationen veröffentlicht, das können Journalisten einfach nicht verstehen. In der Blogosphäre funktioniert die Selbstregulierung dank des Ehrenkodex` der Blogger relativ gut: Wird man auf einen Fehler aufmerksam gemacht, wird dieser selbstverständlich im Blog korrigiert. Das Fakt-Checking wird hiermit transparent, die Recherchen passieren teils direkt online», so Mario Sixtus. Im Medien-Ökosystem bilden Blogs den Resonanzraum für die MSM (Mainstraem-Media) - mit Kritik, Lob, Korrekturen und Feedback.
Peter Hartmeier, Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», misst den Brands oder Labels der traditionellen Medien auch in Zukunft grosse Bedeutung zu: «Die Chance und auch die Versuchung für alle Menschen, irgendetwas zu veröffentlichen oder abzubilden, ist grösser denn je. Das Ergebnis ist ein 24-stündiger Strom von Belanglosigkeiten und Schrott. Deshalb hebt sich die echte Information ab, die nützliche Serviceleistung, der überraschende Witz, die hilfreiche Information, der pointierte Kommentar, die Erklärung des Zusammenhangs, die erhellende Recherche eines unerwarteten Themas, auf das ich nicht selbst gekommen wäre, das ich im Internet nicht gesucht hätte.» Hartmeier zeigte sich davon überzeugt, dass die Menschen zwar mit Grandezza zwischen den verschiedenen Medien-Angeboten hin und her navigieren könnten, es fehle ihnen aber schlicht und ergreifend die Zeit in ihrem Alltag, die Auslese selber zu praktizieren. Darum würde es auch in Zukunft Menschen brauchen, die die Selektion und Kontrolle der Informationen übernähmen. «Jeder Rülpser wird heute zu einem Communiqué, zu einem Blog oder zu einer Talkshow verarbeitet. Je geschwätziger und emotionaler selbstverwirklichende Medienmenschen auftreten, um so mehr wächst die Bedeutung der Übersicht, der Einordnung, der Kommentierung, der Relativierung. Die Frage nach dem Verhältnis von `alten Medien` zu `neuen Medien` ist rasch beantwortet: Die Medien werden nebeneinander bestehen und sich ergänzen», so Hartmeier.
Mittwoch
21.06.2006