Bundesrat Moritz Leuenberger hat als «künftiger Alt-Bundesrat» und somit als «lahme Ente», wie er selber sagte, in Uster eine 1.-August-Ansprache gehalten. Es sei kein anbiedernder Scherz, aber ein Rücktritt sei für ihn erst in Frage gekommen nach einer 1.-August-Rede in Uster. «Es ist gleichzeitig meine letzte 1.-August-Rede als aktiver Bundesrat und, weil ich ja am Ustertag als erster Sozialdemokrat überhaupt sprechen durfte, schliesst sich heute ein Kreis vom ersten Ustertags-Redner zur letzten 1.-AugUsterrede», so Leuenberger. Und dann schwang die «lahme Ente» am sonnigen Nationalfeiertag geistreich die Keule zu den Themen Mythen, Symbole und Clichés.
Er wolle bewusst auch in einer grösseren Stadt wie Uster sprechen, denn es gebe nicht nur Zürich und Genf, so wie es als Bergregionen nicht nur den Gotthard und das Rütli gebe. «Am 1. August treten Bundesräte gehäuft an Ferienorten auf, vor allem im Kanton Graubünden. Dort gibt es am 1. August mehr Bundesräte als Bären», stellte Leuenberger fest. Weitere bundesrätliche August-Reden gäbe es auf dem Gotthard und drei an Ferienorten im Wallis und im Tessin.
«Symbole und Mythen sind die Grundlage, auf der wir über unsere Schweiz diskutieren, über unsere Unabhängigkeit, unsere Stellung in der Welt, über unser Demokratieverständnis, darüber, wer wir sind, wer wir sein wollen, wie wir miteinander umgehen», erklärte Leuenberger. «Deswegen kommt es gar nicht so sehr darauf an, ob jetzt diese Symbole historisch wirklich belegt sind. Ausgerechnet ein Mann aus Uster, nämlich der sehr bedeutende Historiker Roger Sablonier hat in seinem letzten Buch nachgewiesen, es stimme gar nicht, dass der Bundesbrief Anfang August 1291 besiegelt worden sei. Und doch kam er und kommen wir nie auf die Idee, die 1.-August-Feier in Frage zu stellen. Den 1. August nutzen wir, um unsere verschiedenen Meinungen zur Zukunft und zur Gegenwart unseres Landes zu formulieren.»
Doch Symbole und Mythen bergen die Gefahr, zu Klischees zu verkommen, «wenn wir uns in Verklärungen flüchten, nur noch zurückblicken, die Realität von heute ausblenden und die Gelegenheit nicht nutzen, nach vorne zu schauen und Veränderungen wahrzunehmen», sagte der Medienminister.
Unter der Passage «das Rütli und die Alpen» sagte der Politiker, das Rütli sei ein Symbol, das aus dem Selbstverständnis der Schweiz nicht wegzudenken sei. Es sei aber auch immer in Gefahr, zum Klischee zu verkommen. «Wir haben seinerzeit im Bundesrat lange diskutiert, ob die 1.-August-Rede auf dem Rütli jedes Jahr durch den Bundespräsidenten zu halten sei. Wir sind dann zum Schluss gekommen, dass das Herz der Schweiz eben nicht an einem Ort ist. Das wäre ein Cliché. In anderen Regionen kommt dem Rütli nicht die gleiche Bedeutung zu wie in der Zentralschweiz. Insbesondere die Romandie schätzt das Rütli etwas anders ein. Die Schweiz besteht eben gerade in ihrer Vielfalt und darum spricht dieses Jahr auf dem Rütli nicht ein Bundesrat, sondern der Mister Schweiz», sagte Leuenberger spitzbübisch und fügte an, «der 1. August soll ja auch etwas fürs Auge sein».
Aber auch den Alpen droht Gefahr, als Cliché verwendet zu werden. Leuenbergers scharfer Blick richtet sich auf das Schweizer Fernsehen, das die Schweiz überproportional mit ländlichen Regionen zeige und städtische Agglomerationen vernachlässige. «Die SRG begründet das damit, für die Städter sei das Land eben positiv besetzt, sie denken dann an Ferien, an Ausflüge, an die heile Welt. Nach Feierabend sehen die Zuschauer lieber ein Trachtenmädchen in den Bergen als den Stau am Gubrist», sagte er. Und so denke auch die Werbung. «Sogar die Aids-Prävention wirbt mit einem Heidi in Tracht neben Kühen und einem Pariser am Daumen. Und als Hintergrund immer das Matterhorn.»
Am 9. Juli 2010: Bundesrat Moritz Leuenberger tritt zurück
Sonntag
01.08.2010