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Sonntag
06.03.2005

Der frühere ukrainische Präsident Leonid Kutschma hat am Samstag seine Kur in Tschechien abgebrochen. Er flog gegen Mittag aus dem Kurort Karlsbad nach Kiew zurück. Am Freitag war der frühere ukrainische Innenminister Juri Krawtschenko tot aufgefunden worden. Nach offiziellen Angaben beging er Selbstmord. Kutschma steht im Verdacht, gemeinsam mit dem toten Krawtschenko in die Entführung und Ermordung des regierungskritischen Journalisten Georgi Gongadse im Jahr 2000 verwickelt gewesen zu sein.

Krawtschenko, der unter Kutschma von 1995 bis 2001 Innenminister gewesen war, hatte in einem Abschiedsbrief am Freitag das frühere Staatsoberhaupt mit seinem Selbstmord in Verbindung gebracht. «Kutschma und seine Umgebung» seien der Grund für seine Entscheidung, schrieb Krawtschenko, ohne dabei den Namen Gongadse zu erwähnen.

Der Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Alexander Turtschinow, bezeichnete Selbstmord als wahrscheinlichste Todesursache und bestätigte die Existenz eines Abschiedsschreibens. Krawtschenko habe sich ein zweites Mal in den Kopf geschossen, weil der erste Schuss nicht tödlich gewesen sei, sagte Turtschinow.

Im Fall des ermordeten Journalisten, den die Justiz jetzt neu untersucht, wird bislang offiziell nicht gegen Kutschma ermittelt. Der frühere Staatschef erklärte am Freitag zu der «Affäre Gongadse», er habe ein reines Gewissen. Er rechne bei seiner Rückkehr in die Ukraine mit einer Vorladung der Staatsanwaltschaft. Am stärksten belastete Kutschma ein früherer Leibwächter. Der neue Präsident Viktor Juschtschenko betonte in diesem Zusammenhang aber, vor dem Gesetz seien alle gleich.

Der Anwalt von Gongadses Mutter Lesja, Andrej Fedur, bezeichnete die Selbstmord-These als «Unsinn». «Das ist ein Versuch, die Spuren zu verwischen. Krawtschenko soll in dieser Lage als Haupttäter hingestellt werden, damit man den ganzen Fall schliessen kann», wurde Fedur in ukrainischen Medien zitiert. Der ehemalige Staatssicherheitsoffizier Mikola Melnischenko schmuggelte Tonbänder ausser Landes, auf denen ein Gespräch zwischen Kutschma und Krawtschenko aufgezeichnet sein soll. Kutschma gab darin angeblich die Anweisung, den Journalisten zu beseitigen.

Unterdessen teilte der Kreml in Moskau mit, der russische Präsident Wladimir Putin werde in 2 Wochen zu Gesprächen in die Ukraine reisen. Am 19. März seien Treffen mit Juschtschenko sowie weiteren Repräsentanten der neuen ukrainischen Führung geplant.