Die Universität Zürich ist daran, die Nachfolge für den Medienprofessor Heinz Bonfadelli zu regeln. In der engeren Wahl befinden sich keine Schweizer. Ist das schlimm? Und wo liegt das Problem? Für den Klein Report kommentiert Roger Blum, der selbst von 1989 bis 2010 Professor für Medienwissenschaft an der Universität Bern war.
Anfangs der neunziger Jahre lehrten an Schweizer Universitäten sieben hauptamtliche Medienprofessoren - alles Schweizer. Heute gibt es 50 Universitätsprofessoren im Fach Kommunikations- und Medienwissenschaft. Von ihnen stammen 14 aus der Schweiz, 18 aus Deutschland, neun aus Italien, zwei aus Frankreich, einer aus Österreich und sechs aus weiteren Ländern, darunter drei aus den USA.
Das ist zunächst einmal positiv: Die schweizerische Medienwissenschaft ist international durchlüftet worden. Die Professorinnen und Professoren werden davor bewahrt, ausschliesslich das Schweizer Mediensystem zu analysieren, die Schweizer Mediengeschichte zu erforschen, die Schweizer Medieninhalte zu untersuchen, die Schweizer Medienwirtschaft zu durchleuchten und die politische Kommunikation der Schweiz zu debattieren.
Internationaler Zuzug von Hochschullehrern fördert die vergleichende Forschung, bringt neue Ideen und Methoden, weitet den Blick nach aussen und von aussen auf die Schweiz. Die Studierenden profitieren davon. Und es ist falsch anzunehmen, ein deutscher Publizistikwissenschaftler könne die helvetischen Medien nicht verstehen und eine französische Medienprofessorin hätte keinen Zugang zur politischen Kommunikation der Eidgenossenschaft. Wenn dem so wäre, müsste man in der Schweiz sofort aufhören, Afrikanistik, Asienstudien oder Orientalistik zu betreiben. Das Argument wäre, dass jemand aus der Mitte Europas niemals die so andersartigen Kulturen begreifen könne.
Kurz: Der Zuzug ausländischer Professoren der Medienwissenschaft ist eine Bereicherung für die Lehre, für die Forschung und für den Fachdiskurs innerhalb der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM). Die Schweiz kann froh sein, dass der Brain-Trust nicht wegzieht und das Land flieht, sondern dass zusätzlicher Brain-Trust zuzieht.
Doch hat die Entwicklung auch eine Schattenseite. In den Berufungsverfahren für Medienprofessuren in der Schweiz haben oft valable Schweizer Kandidaten das Nachsehen. Zudem gibt es einen Einbahnverkehr der Professoren: Auf ausländischen Medienlehrstühlen sitzen praktisch nirgends Schweizer. Die Nachbarstaaten besetzen die Lehrstühle vorwiegend mit Leuten aus dem eigenen Land, sie exportieren aber einen Teil des begabten Nachwuchses in die Schweiz. Das haben sich die Schweizer Kommunikationswissenschaftler vermutlich selber zuzuschreiben: Sie bewerben sich eher nicht im Ausland. Nicht zuletzt darum, weil in der Schweiz die Rahmenbedingungen, vor allem die Löhne, besser sind. So kommt es, dass jüngere Schweizer Kommunikationswissenschaftler oft als Professoren an Schweizer Fachhochschulen anzutreffen sind, kaum aber an Universitäten.
Das hat sicher nicht damit zu tun, dass die Schweizerinnen und Schweizer dümmer sind als ihre Konkurrenten. Mag sein, dass sich der eine oder die andere schlechter verkauft. Das Hauptproblem aber ist, dass der schweizerische wissenschaftliche Nachwuchs zu schmal ist. Nur ein ganz kleiner Teil der Medienstudierenden entschliesst sich zu einer wissenschaftlichen Karriere. Die überwiegende Mehrheit wendet sich der Öffentlichkeitsarbeit, dem Journalismus oder anderen Tätigkeiten im kulturellen, politischen oder sozialen Bereich zu. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die ältesten Institute, nämlich jene in Zürich, Bern und Freiburg, noch bis vor gar nicht so langer Zeit Institute der Journalistik waren, also hochschulgestützt Journalisten ausbilden wollten. Und Neuenburg hat mit der Académie du Journalisme genau diese Tradition aufgenommen.
Das Problem ist also nicht, dass Schweizerinnen und Schweizer in Berufungsverfahren keine Chancen haben. Das Problem ist, dass der Nachwuchs, der von Schweizer Hochschulen kommt, zahlenmässig zu schmal ist. Das Fach muss daher alles tun, um dies zu ändern.
Es gibt aber ein zweites Problem, das auf die Besetzung von Professuren einen Einfluss, aber überhaupt nichts mit den Nationalitäten zu tun hat. Das Fach Kommunikations- und Medienwissenschaft hat sich von der Praxis weg entwickelt, hin zur reinen Theorie. Gefragt ist vor allem quantitative empirische Forschung. Berufen werden jene Bewerberinnen und Bewerber, die am meisten wissenschaftliche Aufsätze in hochrangigen angelsächsischen Zeitschriften publiziert haben. Praxisbezug zählt nichts mehr.
Hochschulen sind aber nicht bloss Produktionsstätten der Forschung. Sie sind auch Dienstleister gegenüber der Gesellschaft. Sie sollen letztlich der Bevölkerung einen Nutzen bringen. Darum wäre erwünscht, dass Medienprofessoren auch einen Draht zur Praxis haben.
Dies ist die wahre Herausforderung: Neue Professorinnen und Professoren der Medienwissenschaft zu kriegen, die nicht im Elfenbeinturm verharren, sondern sich den Herausforderungen des gesellschaftlichen Alltags stellen. Ob sie einen Schweizer Pass haben oder einen ausländischen, ist völlig nebensächlich. Lieber Praxisnahe von irgendwoher als eitel Schweizer Hochschullehrer, die weltabgewandt in der Theorie verharren.