Mit der grassierenden «Kolumnitis» in allen Schweizer Medien befasste sich eine Diskussionsrunde des Zürcher Pressevereins (ZPV) am Mittwochabend im Ringier-Pressehaus. Von ZPV-Vorstandsmitglied und «Stocks»-Chefredaktor Reto Lipp befragen liessen sich zu diesem Thema «Götterspässler» Patrick Frey («Tages-Anzeiger») sowie SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli («Weltwoche»), eine Paarung, die unterschiedlicher kaum sein könnte. Trotzdem fand sich ein gemeinsamer Nenner: Beide Kolumnisten sehen sich selbst als machtlos und schreiben in ihrem Selbstverständnis gegen die Macht und die Mächtigen an. Für Mörgeli «hat die Linke die Macht vollständig besetzt und gibt ihrer Klientel den Eindruck, es sei nicht so», wogegen Frey überzeugt ist, aus einer niedrigen gesellschaftlichen Position die Mächtigen zu beissen. «Wie Mörgeli von oben zu beissen finde ich nicht so lustig», sagte er.
Unterschiede ergaben sich hingegen zuhauf. So muss eine gute Kolumne für Mörgeli drei Anforderungen erfüllen: Sie muss «kurz sein, ein Thema haben und verletzend sein», beantwortete er die entsprechende Frage und räumt gleich ein, er wisse, dass dies vielleicht nicht mehrheitsfähig sei. Frey anderseits hielt sich an eine Definition des «Tages-Anzeiger»-Chefredaktors, er solle mit seiner Kolumne «eine wohltuende Insel der bösen Worte» schaffen. Unterschiede zeigten sich auch bezüglich der Arbeitsweise. Patrick Frey tut sich unsäglich schwer beim Schreiben und hat oft kurz vor (oder auch nach) dem Abgabetermin noch keinen brauchbaren Satz verfasst. Hingegen bekannte Christoph Mörgeli unumwunden, er würde gerne bis zu seiner Pensionierung eine tägliche Kolumne schreiben, da in der Schweiz so vieles schief laufe, das zu bekämpfen er sich berufen fühle. Erst nach Unterzeichnung des Vertrags mit der «Weltwoche» habe er dessen Chefredaktor gesagt, er wäre auch bereit, einen Betrag in der Höhe des Honorar zu bezahlen, wenn er nur schreiben dürfe.
Der Abend war anregend, spassig und überraschend, aber die Frage klären konnte er nicht, weshalb die «Kolumnitis» mittlerweile alle Printmedien erfasst hat. Sicher ist aber, dass der Anlass in einer der nächsten Kolumnen von Christoph Mörgeli seinen Niederschlag finden wird, denn er zeigte sich höchst überrascht, im Haus seines publizistischen Erzfeindes drei grosse (allerdings blaue) Tafeln an der Wand zu sehen, die mit «Das Kapital» von Karl Marx beschrieben sind. Das ist eine Steilvorlage für einen, der sich gerne genussvoll auf Klischees stürzt.
Mittwoch
02.11.2005