Der Zürcher Presseverein (ZPV) lud am Dienstagabend zur Journalismus-Debatte über Gratis- versus Qualitätszeitungen ins Zürcher Ringier-Pressehaus ein. Der Titel des Journalistentreffs war eigentlich «Retten die Gratiszeitungen die Printbranche?»; doch keiner der Redner ging darauf ein. Die illustre Runde von Chefredaktoren wurde von der NZZ mit Markus Spillmann und dem «Tages-Anzeiger» mit Peter Hartmeier angeführt, welche die Qualitätsblätter zu verteidigen hatten; während auf der Gratiszeitung-Seite «20 Minuten»-Chefredaktor Marco Boselli, «Heute»-Chef Bernhard Weissberg und von «Le Matin bleu» Tristan Cerf auf dem Podium mitdiskutierten. Der angekündigte Peter Rothenbühler (Chefredaktor von «Le Matin») musste wegen eines TV-Auftrittes in der Romandie passen. Ein Umstand, der kaum erstaunt.
Bekannt ist, dass die Tageszeitungen wie NZZ und TA seit Jahren unter einem Anzeigenschwund leiden, während die Pendler- und Gratiszeitungen im Aufwind sind. Nichtsdestotrotz möchte Peter Hartmeier nicht immer nur die Pessimisten und Miesmacher hören, die klagen. Der ZPV-Moderator Reto Lipp rechnete den beiden Chefs der Zürcher Zeitungen die Verluste vor und zitierte aus Geschäftsberichten, die ebenfalls ein Klagelied angestimmt hatten. «Die Situation ist nicht brillant; aber auch nicht dramatisch», meinte der Chef von der Falkenstrasse lakonisch.
Viel Freude strahlte dagegen Marco Boselli, Chefredaktor von «20 Minuten», aus und verwies auf seine guten Leserzahlen. Genaues zur Romandie mit «20 minutes» konnte er aber nicht bekannt geben. Man sei aber Tamedia-intern «sehr zufrieden». Bernhard Weissberg sprach von einer dreijährigen Durststrecke, die man für Ringiers «Heute» anberaumt hat. Auch aus der Romandie verbreitete Tristan Cerf frohe Kunde über den Erfolg seiner Gratispostillen. Da hatten die zwei Chefs der Zürcher Tageszeitungen einen schweren Stand: Sie wirkten beide etwas ratlos und verteidigten - wohl zu Recht, dass es auch Leserinnen und Leser gibt, die mehr als ein Boulevard-Blatt oder nur Kurzfutter lesen wollen.
Die Gesprächsteilnehmer der Gratiszeitungen wiesen auf ihr jugendliches Publikum hin, das offenbar den abonnierten Blättern abhanden gekommen ist. Dabei wurden auch einige Unterschiede der verschiedenen Zielgruppen der Zeitungsgattungen herausgehoben. Jugendliche tauschen ihre Meinung mehr über Internet und Blogs aus und nicht über Leserbriefe, sagte Boselli. Hartmeier seinerseits verwies auf den gesellschaftspolitischen Auftrag der Qualitäts- oder Komplettzeitungen. Er zeigte sich jedoch flexibler, was mögliche Änderungen in der Redaktionskonzeption betrifft als sein Kollege von der NZZ.
Zum Schluss warf der Gesprächsleiter auch noch die obligate Frage nach dem journalistischen Berufsbild auf, und ob dies nicht Anpassungen nötig habe. Das stiess bei Markus Spillmann auf wenig Verständis; er kann sich auch einen Wechsel eines NZZ-Redaktors zu «20 Minuten» nicht vorstellen. Kurzfristig flammte noch die Rivalität zwischen den Journalisten der Boulevard- und der Qualitätspresse auf; man sprach von Arroganz der einen. Insgesamt brachte aber die Debatte kaum neue Argumente oder Erkenntnisse hervor.
Dienstag
19.09.2006