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Dienstag
18.11.2025

Medien / Publizistik

«Das Verständnis für die Rolle der Lokalmedien als vierte Gewalt erodiert teilweise», sagt die Medienforscherin Johanna Burger... (Bild: zVg)

«Das Verständnis für die Rolle der Lokalmedien als vierte Gewalt erodiert teilweise», sagt die Medienforscherin Johanna Burger... (Bild: zVg)

Die Gemeindebehörden lancieren immer häufiger eigene Kommunikationskanäle und werden damit immer unabhängiger von der Lokalzeitung oder dem Regionalradio.

Die Veränderung der Rolle der vierten Gewalt auf Gemeindeebene genauer unter die Lupe genommen hat Johanna Burger, Wissenschaftliche Projektleiterin am Institut für Multimedia Production an der Fachhochschule Graubünden.

Der Klein Report hat mit Burger über die Gefahren der Abhängigkeit gesprochen, wenn Gemeinden beginnen selber Medien zu produzieren oder direkte Lokalmedienförderung zu betreiben, und darüber, wie sehr einige Lokalmedien von einzelnen Personen abhängig sind.

Es wird seit Längerem viel geredet über die Bedeutung des Lokaljournalismus. In Ihrer Studie von 2023 ist eine recht grosse Diskrepanz zu erkennen. Mehr als mancher Politiker und manche Politikerin sind vor allem Journalistinnen und Verleger am Lokaljournalismus interessiert. Wie interpretieren Sie dies?
Johanna Burger: «Es geht bei unserem Befund, auf welchen Sie sich beziehen, weniger um das Interesse als um die Einschätzung für die Wichtigkeit des Lokaljournalismus für Gemeinden, um deren Informationsauftrag zu erfüllen. Die Diskrepanz erstaunt nicht: Die Gemeinden bauen ihre Kommunikation stark aus, setzen auf eigene Informationskanäle, um zunehmend unabhängig kommunizieren zu können. Die Lokalmedien sehen sich dabei nach wie vor als vierte Gewalt, die es in einem demokratischen Staat braucht, um die Bevölkerung vollumfänglich und auch kritisch zu informieren.»

Was war der Auslöser für diese Studie?
Burger
: «Der Ausgangspunkt war Forschung zu Nachrichtenwüsten in den USA. Uns interessierte, wie es um die Lokalmedien der Schweiz und der umliegenden Länder bestellt ist – und wir weiteten dieses Feld auf die Gemeindekommunikation aus, um ein Bild der Lokalkommunikation als Ganzes zu bekommen.»

Welche Ergebnisse haben Sie persönlich am meisten überrascht?
Burger
: «Am meisten überrascht hat mich persönlich, wie stark einige Lokalmedien nach wie vor abhängig von Einzelpersonen sind. Zitat eines IT-Beauftragten eines Lokalmediums: ‘Wenn ich jetzt sterben würde, hätten wir ein Problem.’ Es ist extrem wichtig, dass Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, sofern möglich, verteilt werden. Zudem sollten Lokalmedien stärker über Kooperationen mit anderen Lokalmedien in Bereichen, die Sinn ergeben, nachdenken. Rechercheverbünde et cetera könnten viel öfter genutzt werden. Der Lokalhub macht da aktuell einen Schritt in die richtige Richtung nach unseren Forschungsergebnissen.»

Ihre Studie zeigt, dass Lokalmedien stark auf Informationen der Gemeinden angewiesen sind. Wo verläuft hier die Grenze zwischen Kooperation und Abhängigkeit?
Burger
: «Wir haben in den Gesprächen, die wir mit Lokaljournalist:innen geführt haben, immer wieder gehört, dass es für sie schwieriger geworden ist, an Informationen der Gemeinden zu kommen, nachdem jene ihre eigenen Kommunkationsstellen stark ausgebaut hatten. In diesen Fällen kommt es zu weniger Kooperation und einer gewissen Abhängigkeit in der Lokalkommunikation. Wo ebenfalls die Gefahr von Abhängigkeiten besteht, ist, wenn Gemeinden beginnen direkte Lokalmedienförderung - bespielsweise durch die Gründung eines neuen Lokalmediums und dessen direkter Finanzierung zu betreiben. In manchen Fällen geht das gut, in manchen Fällen wird aus der ursprünglich angestrebten völligen journalistischen Freiheit ein Abhängigkeitsverhältnis mit möglichem vorauseilendem Gehorsam auf Seiten der Lokalmedien. Wir beobachten damit eine Machtverschiebung zugunsten der Gemeinden.»

Und generell: Wie gut funktioniert die Balance zwischen amtlicher Information und unabhängiger journalistischer Kontrolle in den Schweizer Gemeinden aus Ihrer Sicht?
Johanna Burger
: «Wir sehen, dass das Verständnis für die Wichtigkeit der Lokalmedien und ihre Rolle als vierte Gewalt in Teilen auf Gemeindeseite besteht – in Teilen erodiert es aber auch. Ein Beispiel dafür war die Gemeinde St. Niklaus, die 2024 vorübergehend den ‘Walliser Boten’ boykottierte.»

Haben Sie Anzeichen dafür gefunden, dass Gemeinden versuchen, über Kommunikationsstrategien gezielt Einfluss auf die lokale Meinungsbildung zu nehmen?
Burger
: «Grundsätzlich scheint das nicht der Fall zu sein – ein Leitfadeninterview haben wir aber geführt, wo von einem solchen Fall berichtet wurde, dass ein Politiker/eine Politikerin versucht hat Einfluss zu nehmen.»

Ihre Studie zeigt auch, dass Lokalmedien zunehmend online publizieren, Print aber weiterhin wichtig ist. Wie erklären Sie diese Spannung zwischen digitalem Wandel und Festhalten am Gedruckten?
Burger
: «Diese gewisse Gleichzeitigkeit zwischen Print- und Onlineangeboten findet sich nicht speziell im Lokalen, sondern ist typisch für die Zeit, in welcher wir uns gerade befinden. Um alle Generationen mit ihren Lesegewohnheiten abzuholen, sind die Redaktionen aktuell stark gefordert und müssen unterschiedliche Kanäle – beispielsweise Print und online – bespielen.»

Wie verändert der Trend zu Videos oder Social Media, der Ihre Studie auch beschreibt, die journalistische Arbeit in den Lokalredaktionen?
Burger
: «Was wir in der Studie feststellen konnten, ist, dass die Lokalmedienredaktionen zum Zeitpunkt, an welchem wir sie befragt hatten, bei neuen Content-Typen insbesondere auf neue visuelle Elemente wie beispielsweise interaktive Karten, zeitversetzte und Live-Videobeiträge setzten. Die drei am meisten genannten Kanäle, die neu bespielt werden sollten, waren Mailinglisten, Instagram und YouTube. Ersteres klingt vielleicht etwas veraltet, aber in Mails kann man mit persönlicher Anschrift multimediale Inhalte einbinden und damit sein lokales Publikum erreichen.»

Wie erfolgreich sind Lokalmedien tatsächlich darin, jüngere Menschen über diese Kanäle zu erreichen?
Johanna Burger
: «Das haben wir uns in unserer Studie leider nicht angeschaut, das wäre aber eine spannende weiterführende Studie.»