«Herrgott noch mal, seid ihr denn blind?», schreit eine Frau den Chef der Washingtoner Behörde für Katastrophenschutz, Michael Brown, an. «Ihr klopft euch gegenseitig auf die Schulter, während hier die Menschen sterben.» Die Frau ist kein Hurrikan-Opfer, sie ist eine Reporterin des US-Fernsehsenders MSNBC. So sehr hat sie das Elend getroffen, dass sie sich nicht mehr zurückhalten kann. Und nicht nur sie, wie der deutsche Branchendienst Newsroom am Mittwoch meldet.
Die ersten US-Medien sprechen von «Katrinagate», der grössten Herausforderung für das gesamte politische Establishment seit der Watergate-Affäre in den 70er-Jahren um Richard Nixon. Wohl seit Jahrzehnten nicht mehr sind Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen in den USA so gnadenlos mit ihrem Präsidenten und dem gigantischen Washingtoner Behördenapparat umgegangen wie in diesen Tagen. Auch jetzt, da die Hilfsmassnahmen auf breiter Front angelaufen sind und die Flut in New Orleans zurückgeht, hält die der Kritik an den Versäumnissen der Regierung an - denen in der Zeit vor der Katastrophe und danach.
Tatsächlich: War die Washingtoner Reaktion auf Katrina langsam, so auch die der Medien. Bis Freitag hatten die Reporter vor Ort selbst grosse Mühe, das Ausmass des Elends zu erfassen. Gewohnt, auch vergleichweise harmlose Stürme zu stundenlangen Programmfüllern zu machen, sich mit wehenden Haaren und flatternden Südwestern scheinbar heldenhaft der Wut von Stürmen auszusetzen, die im Vergleich zu Katrina eher ein Säuseln waren, kam nun für sie der «Big One». Fassungslos, erst langsam begreifend, stolperten vor allem die Fernsehreporter durch die ersten Stunden der Berichterstattung.
Dann kamen die Emotionen. Eine CNN-Reporterin brach in Tränen aus, konnte nur mühsam sprechen, als sie über die nach Hilfe schreienden Menschen auf den Dächern in Louisiana berichtete. Auch andere Journalisten schilderten, was sie sahen, mit gebrochener Stimme. Dann rollte die Welle der Washingtoner Behördenvertreter an und damit der Pressekonferenzen, auf denen der eine Politiker dem anderen dankte - für den grossartigen unermüdlichen Einsatz. Und mit diesen Ereignissen kam die Wut.
«Dies ist nicht Irak, dies ist nicht Somalia, dies ist unsere Heimat», rief ein NBC-Fernsehreporter aus. Ein normalerweise stoisch ruhiger ABC-Moderator, Ted Koppel, fuhr Michael Brown in einem Interview direkt an, weil dieser keine Angaben über die Zahl der Flüchtlinge im Convention Center in New Orleans machen konnte: «Schaut ihr Leute euch denn kein Fernsehen an?», wettert der Fernsehveteran. «Hört ihr Leute denn niemals Radio? Unsere Reporter haben darüber (die Flüchtlinge) schon länger als heute berichtet.» Eine CNN-Vertreterin geht ebenfalls mit Brown direkt ins Gericht: «Wie ist es möglich, dass wir bessere Informationen haben als ihr? Warum wird keine Verpflegung abgeworfen? In Banda Aceh, in Indonesien, haben sie das zwei Tage nach der Tsunami getan.»
Einem anderen CNN-Reporter platzte vor laufenden Kameras der Kragen, als Senatorin Mary Landrieu in einem Interview lobend auf ein vom Kongress verabschiedetes Hilfspaket verweist. «Entschuldigen Sie, Senatorin», funkte er dazwischen, «es tut mir Leid, wenn ich Sie unterbreche. Ich habe davon noch nichts gehört, weil ich in den letzten vier Tagen damit beschäftigt war, Tote hier auf den Strassen zu sehen. Und wenn ich höre, wie der eine Politiker hier den anderen beglückwünscht ... Da war gestern eine Leiche auf der Strasse, die von den Ratten angefressen wurde, weil der Körper schon seit 48 Stunden dort lag...»
Wenn bei Präsident George W. Bush da noch nicht die Alarmglocken schrillten, so wohl spätestens dann, als auch der ihm sonst so wohl gesonnene Sender Fox News Zeichen von Abtrünnigkeit zeigte. Als einer seiner Reporter mit dem Hinweis auf die Gefahren durch Plünderer auf einen anderen Platz verwiesen wurde, sagte er spitz ins Mikrofon: «Diese Leute sind verzweifelt. Warum sollten sie nicht versuchen, Wasser und Essen von uns zu stehlen?»
Mittwoch
07.09.2005