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Dienstag
10.05.2005

Der ehemalige Kulturchef von SF DRS, Iso Camartin, plädiert in einem soeben veröffentlichten Buch «Belvedere. Das schöne Fernsehen» für ein anspruchsvolles Kulturprogramm, das ein breites Publikum anspricht. Dumm ist nur, dass sein Konzept in der Praxis scheiterte. Camartin stimmt nicht in die weit verbreitete Kritik über den Verfall der Fernsehkultur ein. Vielmehr verteidigt er das Medium sowohl gegen seine intellektuellen Verächter als auch gegen seine gedankenverlorenen Dauerkonsumenten. Das Fernsehen solle als Offenbarungseinrichtung dienen, die den Zuschauenden ein Fenster zur weiten Welt öffnet: Service public bedeutet, Kultur aus der Nische der Spezialisten und der Experten zu holen und sie zu einem Angebot für die Allgemeinheit zu machen. Nicht belehrend und einschüchternd, sondern verführend und befreiend, schreibt Camartin.

Dazu muss das Fernsehen gemäss dem Autor in erster Linie Geschichten erzählen. So kann die Verführungskompetenz des Kultursektors optimal eingesetzt und der Weltenträtselungshunger der Zuschauenden gestillt werden. Verführen will Camartin deshalb auch in seinem Buch. Mit viel Witz und Fantasie präsentiert er seine Überlegungen anhand von Mythen, Philosophien und Reiseerfahrungen. Dabei scheut er nicht davor zurück, mit seiner Bildung aufzutrumpfen. Wie der Hausgeist im imaginären Hotel «Belvedere», den er liebevoll schildert, neigt Camartin dazu, den Lesenden unerwartet mit einer neuen Idee hinterrücks anzuspringen.

Dies macht «Belvedere» einerseits zu einem anregenden und herausfordernden Lesevergnügen. Wenn Camartins Gedanken andererseits im selben Kapitel von Seneca zu Augustinus und schliesslich zu Giacometti springen, lässt er den roten Faden vermissen. Camartin ist ein idealistischer Missionar. Seine Tele-Vision, wie er sie selbst nennt, einer Kulturvermittlung, bei der die Vernunft nicht vor den Gesetzen des Marktes Halt macht, ist auf Dauer kaum umzusetzen. Diese ökonomische Realität musste Camartin auch beim Schweizer Fernsehen DRS während seiner Zeit als Kulturchef erleben: Die Projekte «Hotel Babylon» und später «Hotel B.» wurden mangels Quotenerfolg abgesetzt. - Iso Camartin, «Belvedere. Das schöne Fernsehen». Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005. 151 Seiten, Fr. 30.80.