In Polen ist am Montag ein bislang unveröffentlichtes Interview mit Papst Johannes Paul II. aus dem Jahr 1988 erschienen. Der Vatikan hatte die Veröffentlichung in den achtziger Jahren untersagt. Der im April 2005 verstorbene Papst äusserte sich in einem Gespräch mit dem polnischen Journalisten Jan Gawronski über die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, die russische Perestroika und die Glaubenskrise im Westen. «Newsweek Polska» druckte am Montag Auszüge des Interviews. Darin bezeichnete Johannes Paul II. den Kommunismus als «ergebnisloses, fruchtloses System», von dem sich selbst die Regierenden in den kommunistischen Staaten allmählich zurückzögen. «Niemand spricht einfach darüber, aber im Grunde geht es bei der Perestroika darum: Wie findet sich ein Ausweg aus diesem System?»
In dem Interview sorgte sich der Papst - vier Jahre vor dem Putschversuch gegen den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow - um ein mögliches Scheitern des Reformers am sowjetischen Machtapparat. Er befürchtete zudem mangelnde Unterstützung in der russischen Gesellschaft. «Leider haben die Russen nicht den Widerstandsgeist der Polen», meinte er. «Sie sind langsamer, passiver. Vielleicht gehört das sogar in einem gewissen Sinn zum Erbe der Orthodoxie.» In der Diskussion über die Rolle der ostmitteleuropäischen Staaten in Gesamteuropa war die künftige Entwicklung für den Papst noch nicht vorstellbar. Ein vereintes Europa konnte er sich angesichts der damaligen Stärke der Sowjetunion nur als neutral vorstellen.
Mit Blick auf den Westen betonte Johannes Paul II. die Notwendigkeit einer «neuen Evangelisierung Europas». Hoffnung für die europäische Kirche sah der Papst im kommunistischen Osten. «Wenn der Mensch in einem System lebt, dessen Programm atheistisch ist, begreift er besser, was Religion ist», sagte er. «Und er sieht etwas, was der Mensch im Westen nicht sieht - nämlich, dass Gott die Quelle der Freiheit des Menschen ist. Das sieht der Häftling im Lager, das sieht Solschenizyn, das sieht Sacharow. Der Mensch im Westen sieht das entweder gar nicht, oder nicht in diesem Mass.»
Montag
03.10.2005