Zum Beginn des Olympischen Fackellaufs in Moskau stellte «Reporter ohne Grenzen» (ROG) am Montag den Bericht «Der Kreml auf allen Kanälen vor.
Wie der russische Staat das Fernsehen lenkt» vor. «Die systematische Unterdrückung unabhängiger Stimmen in russischen Medien steht in krassem Widerspruch zum Image eines modernen und offenen Landes, als das sich Russland zu den Winterspielen in Sotschi präsentieren will», so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin anlässlich der Präsentation des Berichts. «Der Kreml nutzt das landesweite Fernsehen, um seine Macht zu sichern und mit der Kraft kontrollierter Bilder seine Sicht auf die Welt zu vermitteln.»
Seit dem Amtsantritt Wladimir Putins im Jahr 2000 habe der Kreml die landesweiten Fernsehsender wieder weitgehend unter seine Kontrolle gebracht und durch gezielte Personalpolitik kritische Journalisten aus den Redaktionen gedrängt, heisst es im ROG-Bericht. «Übrig bleiben bei den drei wichtigsten landesweiten Fernsehsendern (Perwyj Kanal, Rossija und NTV) Redaktoren, die sich den Machthabern nicht offen entgegenstellen oder ihre Überzeugungen nicht offen auf dem Bildschirm vertreten.» Ihren Einfluss stützen diese Sender auf ein noch aus sowjetischer Zeit stammendes Übertragungssystem, das fast alle Haushalte des riesigen Landes erreicht. Kreml-kritische Sender, wie der vor dreieinhalb Jahren gegründete Kanal TV Doschd, werden auf diesem Weg nicht übertragen. Unabhängige Zeitungen oder Onlinemedien spielen bei der politischen Willensbildung im Land nur eine geringe Rolle, so ROG weiter.
Die Nichtregierungsorganisation beobachtet mit Sorge, dass sportliche Grossereignisse häufig an autoritär regierte Staaten vergeben werden, die Menschenrechte missachten. «Mit der Entscheidung für Russland übernimmt das Internationale Olympische Komitee (IOK) die Verantwortung dafür, dass demokratische Grundrechte während der Winterspiele gewahrt werden», sagte Christian Mihr. «Das IOK muss den Anspruch seiner eigenen Charta einlösen und eine umfassende, freie Berichterstattung über die Olympischen Spiele 2014 sicherstellen. Es sollte den Grundsatz der Pressefreiheit weitaus deutlicher als bisher verteidigen und sich nicht scheuen, die Einhaltung grundlegender Bürgerrechte in der Russischen Föderation anzumahnen.»
Internationale Journalisten ruft Reporter ohne Grenzen zu einem transparenten und verantwortungsvollen Umgang mit Fernsehbildern und journalistischem Material aus Russland auf. Angesichts der massiven Kontrolle des russischen Fernsehens durch den Staat sollten Rundfunkanstalten, die Material staatsnaher russischer Sender übernehmen, dies deutlich kennzeichnen und die Herkunft der Bilder durch Quellennachweise transparent machen, so ROG. Berichterstatter sollten die Realität vor Ort im Blick behalten und sich nicht durch professionell produziertes, vermeintlich journalistisches Material täuschen lassen, das im Auftrag der russischen Führung entsteht und deren Image im Ausland verbessern soll.
Reporter ohne Grenzen fordert die russische Regierung auf, ihren eigenen Anspruch ernst zu nehmen, dass die Olympischen Spiele in Sotschi zur Modernisierung des Landes beitragen sollen. Dies dürfe sich nicht auf Wirtschaft oder Infrastruktur beschränken, sondern müsste auch die Entwicklung einer lebendigen Zivilgesellschaft einschliessen. Dazu gehöre ein freier Zugang aller Bürger zu umfassenden Informationen, was momentan nicht gewährleistet sei.
Der ROG-Bericht «Der Kreml auf allen Kanälen» fusst auf rund 30 Interviews mit Journalisten, Medienexperten und Beobachtern, die ROG-Pressereferentin Ulrike Gruska im Sommer 2013 in Moskau und Berlin geführt hat. Viele Journalisten - vor allem aus staatlichen oder staatsnahen russischen Medien - waren nur anonym dazu bereit, mit Reporter ohne Grenzen zu sprechen, um ihre weitere Tätigkeit nicht zu gefährden.
Russland steht auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit nur auf Platz 148 von 179 Staaten. Seinen Präsidenten Wladimir Putin zählt Reporter ohne Grenzen seit Jahren zu den grössten Feinden der Pressefreiheit weltweit.