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Dienstag
12.07.2011

Haben die Medien die Vorboten der arabischen Revolution verschlafen? Setzten sie früher zu sehr auf die Regenten und jetzt zu sehr auf die Aufständischen? Darüber diskutierten an der Jahrestagung des Netzwerks Recherche in Hamburg journalistische Nahostspezialisten. Roger Blum berichtet für den Kleinreport.

Die revolutionären Bewegungen in arabischen Ländern wie Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen und Syrien haben die Medien hierzulande überrascht. Auch Korrespondenten vor Ort deuteten Aussagen von Einheimischen, dass jetzt dann etwas passieren werde, als leere Floskeln. Die Dynamik sei überraschend gewesen, sagte Golineh Atai, die aus Iran stammende Ägypten-Korrespondentin der ARD. «Man weiss nicht, was passiert wäre, wenn sich Mubarak intelligenter verhalten hätte», ergänzte Michael Lüders, Nahostexperte und langjähriger Nahostkorrespondent der «Zeit». Man wisse auch nicht, was letztlich herauskomme. Klar sei nur, dass die islamischen Fundamentalisten die Verlierer seien.

Stefan Buchen von der ARD, der von der vordersten Front in Libyen berichtet hatte, fand, die Medien seien zu lange der herrschenden politischen Deutung hinterhergelaufen. Sie hätten es als selbstverständlich betrachtet, dass Regenten wie Mubarak, Ben Ali, Saleh oder Assad als Stabilitätsfaktoren gelten. Demgegenüber kritisierte der aus Indien stammende Fernsehreporter Ashwin Rahman, der 2010 den deutschen Fernsehpreis gewonnen hatte, dass man jetzt einseitig auf die Aussagen der Aufständischen abstelle, aber auch, dass ein Interview mit Gaddhafi als exklusive Leistung dargestellt werde. «Ich kann per Handy jederzeit Gaddhafi anrufen», sagte er; der libysche Präsident sei stets zu einem Interview bereit.

Der Orientkenner Ulrich Kienzle, der für ARD und ZDF gearbeitet hatte, verwarf die These, dass die Medien die Vorboten der arabischen Revolution verschlafen hätten. Wenn, dann habe dies die ganze Welt verschlafen. Keiner habe sich vorstellen können, dass die Araber eine Revolution anzetteln. Dieses 200 Jahre währende Vorurteil sei jetzt zerbrochen, unterstrich Kienzle.

Selbstkritisch merkten die Medienschaffenden an, dass man die Quellen der Unruhen besser hätte ergründen und einordnen müssen (Atai). Dass man vergesse, dass es in den letzten 200 Jahren im Orient schon mehrfach revolutionäre Wellen gegeben habe (Buchen). Dass die Unterschiede der Bewegungen in den einzelnen Ländern zu wenig herausgearbeitet würden (Rahman). Dass zu viel erörtert werde, was das alles für Israel heisst, während die Systeme der Stämme - etwa in Libyen oder in Jemen - zu wenig analysiert würden (Kienzle). Dass man stets spät erwache und dann kurzfristig Leute hinschicke, die oft inhaltlich keine Ahnung hätten (Rahman). Dass die Redaktionen die Korrespondenten zu wenig unterstützten, wenn sie in Krisengebiete fahren wollen (Atai).

Die Heimredaktionen verhielten sich zudem widersprüchlich: Im Libanonkrieg von 2006 hätten sie mehr Hintergründe eingefordert, jetzt, in Ägypten, gebe es zu wenig Aufklärung darüber, was die Revolutionäre wollen, kritisierte Kienzle.