Der Regisseur Mike Leigh hat beim Filmfestival in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen. Der 61-Jährige nahm den Preis für «Vera Drake», ein Werk über das Arbeiter- und Arme-Leute-Milieu im London der 50er-Jahre, bei einer Gala am Samstagabend im La-Fenice-Theater von Sophia Loren entgegen.
Die Entscheidung der Jury unter der Leitung des britischen Regisseurs John Boorman war eher überraschend: «Vera Drake» ist ein künstlerisch traditionell gemachter Streifen. Leigh setzt sich in «Vera Drake» kritisch mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch auseinander. Polizei und Justiz verfolgen die Protagonistin wegen illegaler Abtreibung; der Film fällt dazu jedoch kein Urteil. Mit seiner Regie bringt Leigh den Zuschauer in das Dilemma, selbst entscheiden zu müssen, ob die Hausfrau Vera Drake mit ihrem dunklen Geheimnis eine Verbrecherin oder ein Gutmensch ist.
«Vera Drake» erhielt denn auch eine weitere Auszeichnung: Die britische Schauspielerin Imelda Staunton (48) nahm für ihre Hauptrolle den Preis als beste weibliche Darstellerin entgegen. Staunton spielt eine Engelmacherin, die jungen Mädchen bei Abtreibungen hilft. Als bester männlicher Darsteller wurde der Spanier Javier Bardem (35) für seine Rolle in «Mar adentro» ausgezeichnet. Er spielt einen Querschnittsgelähmten, der Hilfe sucht, um aus dem Leben zu scheiden. «Mar adentro» des Spaniers Alejandro Amenábar erhielt ausserdem den grossen Preis der Jury.
An dem Wettbewerb hatten insgesamt 22 Filme teilgenommen. Wim Wenders und sein Beitrag «Land of Plenty» gingen leer aus. Wenders` Beitrag war als einer der Favoriten genannt worden. Sein von Kritikern durchwegs sehr positiv aufgenommener Film handelt vom politischen und sozialen Klima in den USA seit den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001. Wenders hatte als bislang letzter Deutscher am Lido 1982 einen Goldenen Löwen gewonnen, damals für «Der Stand der Dinge». Auch der Film «Birth» von Jonathan Glazer mit Hollywood-Star Nicole Kidman erhielt keinen Preis.
Einen Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhielt der 80-jährige US-Regisseur Stanley Donen, zu dessen zahlreichen Werken «Indiskret» von 1958 mit Ingrid Bergman und Cary Grant und «Charade» aus dem Jahr 1963 mit Audrey Hepburn und Cary Grant gehören.
Das Festival wurde vom neuen Direktor Marco Müller geleitet. Trotz vereinzelter Kritik an organisatorischen Mängeln kann Müller zufrieden sein: Ihm gelang es diesmal vor allem, viele Hollywood-Stars wie Steven Spielberg, Denzel Washington und Meryl Streep an den Lido zu locken, deren Filme aber ausser Konkurrenz liefen.
Folgende weitere Preise wurden in Venedig verliehen:
- Spezialpreis für die beste Regie: «Binjip» von Kim-Ku-Duk
- Marcello-Mastroianni-Preis für die beste schauspielerische Nachwuchsleistung: Marco Luisi und Tommaso Ramenghi in «Lavorare con lentezza»
- Silberner Löwe für den besten Kurzfilm: «Signe d`appartenence» von Kamel Chérif
In der offiziellen Jury waren zwar keine Schweizer Beiträge berücksichtigt. «Tout un hiver sans feu» des in Polen lebenden Greg Zglinski, mit dem die Schweiz erstmals seit 15 Jahren wieder im Wettbewerb in Venedig vertreten war, erhielt jedoch zwei Nebenpreise von anderen Jurys. Und der in den USA lebende Marc Forster, der andere Schweizer am diesjährigen Filmfestival in Venedig, der mit der Star-besetzten Produktion «Finding Neverland» ausser Wettbewerb lief, erhielt einen weiteren Nebenpreis.
Sonntag
12.09.2004