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Sonntag
23.04.2006

Falschmeldungen mit dem Ziel, Kursbewegungen in eine Aktie zu bringen, sind der Motor der Börse. Doch trotz ihrer enormen Bedeutung sind Börsengerüchte wissenschaftlich bislang kaum erforscht worden. In der Bundesrepublik haben nun erstmals Finanzwirtschaftler der Universität Chemnitz unter Leitung von Professor Friedrich Thiessen die Entstehung, Verbreitung und Wirkung von Falschmeldungen über Aktiengesellschaften empirisch untersucht, berichtet die Zeitung «Euro am Sonntag».

Ergebnis: «An den Finanzmärkten findet offenbar ein hochorganisierter, effizient betriebener Handel mit Gerüchten statt.» Von dem Geschäft profitierten überwiegend die grossen Marktteilnehmer, die in der Regel als erste informiert seien und am schnellsten reagieren könnten, heisst es in dem Bericht. Den Kleinanlegern rät Thiessen daher, bei nicht nachprüfbaren Börsengerüchten zu «äusserster Vorsicht».

Um genau herauszufinden, wie dubiose Nachrichten den Börsenhandel beeinflussen, haben die Wissenschaftler laut dem Bericht 139 Gerüchte analysiert, über die der Nachrichtendienst VWD innerhalb eines Jahres berichtete. Ausgewählt wurden nur Meldungen, die DAX- und MDAX-Unternehmen betrafen und die den Handel nachweislich beeinflussten.

Drei Bedingungen müsse eine Falschmeldung erfüllen, damit sie für plausibel gehalten werde: Der Inhalt muss neu sein; aufgewärmte Gerüchte verpuffen wirkungslos. Sie muss überdies ziemlich spektakulär sein; nur wenn Anleger leicht ausrechnen können, wie eine Meldung die Ertragslage eines Unternehmens beeinflussen könnte, sind sie bereit, darauf zu handeln. Vor allem aber muss ein Gerücht auf den geistigen Radarschirm eines Händlers passen: Falschmeldungen werden besonders gern dann geglaubt, wenn sie bereits kursierende Ängste, Befürchtungen und Einschätzungen zu bestätigen scheinen. Werden etwa die Pharmaindustrie oder die Telekom-Branche mal wieder von einer Fusionswelle überrollt, dann hält die Börse jede weitere Übernahmespekulation nur zu gern für glaubwürdig.