Der in Frankfurt lebende Schriftsteller Wilhelm Genazino ist in Darmstadt mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet worden. Das Präsidium der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung würdigte den 61-Jährigen als «unbändigen Komödianten mit der barmherzigen Seele, der unsere Zeit belauscht und ausspäht». Der Autor verfüge über eine «wunderbar musikalische Prosa». Der Preis ist mit 40 000 Euro (rund 60 000 Franken) dotiert.
In seiner Dankesrede machte sich Genazino Gedanken über die Untröstlichkeit der Literatur. In jedem Buch stecke die Einsicht in einen Mangel, sagte er. «In der Literatur - und nur in der Literatur - überlebt die Sehnsuchtswirtschaft der Menschen.» Den Namensgeber des Preises, Georg Büchner, beneidete Genazino um seine «traumhafte Gewissheit von der eingreifenden Wirkung von Literatur». Seine Theaterstücke, die sich immer um die Frage des Scheiterns drehten, seien bis heute modern.
Das Werk Genazinos bezeichnete Literaturkritiker Helmut Böttiger in der Laudatio als «Psychogeschichte der Republik»: «Er kriecht in die Eingeweide der Bundesrepublik, er seziert das, was man früher `Kleinbürgertum`» genannt hat.» Dabei registriere der Autor die absurde und lächerliche Unwirtlichkeit des Alltags.
«Und dennoch schlägt man das Buch zu und hat das Gefühl, dass das Leben eigentlich ganz schön ist.» Mit seinen Alltagshelden betreibe Genazino «Subversion» gegen gesellschaftliche Trends. «Dazu gehört auch, dass er mit der Schreibmaschine schreibt.» Damit spüre er den Widerstand, von dem er immer erzähle.
Bei dem Festakt zeichnete die Akademie ausserdem zwei weitere Autoren aus. Der Historiker Karl Schlögel erhielt den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa und die Schriftstellerin Anita Albus den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik. Der 56 Jahre alte Schlögel lehrt Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Anita Albus schreibt und malt in München und im Burgund. Das Preisgeld beträgt je 12 500 Euro (19 000 Franken).
Sonntag
24.10.2004