Content:

Sonntag
08.10.2006

Deutschland muss nach Ansicht des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels, Wolf Lepenies, den aufgeklärten Islam unterstützen. «Es gilt für den Westen, mit aller Kraft die Leitidee eines mit der Moderne kompatiblen Islam zu stärken», sagte der Berliner Soziologe und Wissenschaftsmanager bei der Entgegennahme des renommierten Preises am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche. Zudem müsse der Westen dem islamisch geprägten Terror mit einer «Kultur der selbstbewussten Freiheit wehrhaft entgegentreten» - auch mit Hilfe der Wissenschaft.

«Es geht um die Stärkung von Gruppen, die zwischen Islam und Moderne keinen Gegensatz sehen und von der Demokratiefähigkeit muslimischer Gesellschaften überzeugt sind», sagte Lepenies. Diese Eliten müssten mit weit grösserer Entschiedenheit unterstützt werden als in der Vergangenheit, forderte der Wissenschaftler vor rund 700 Gästen. Darunter waren auch Bundespräsident Horst Köhler, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und mehrere Bundesminister. Lepenies leitete von 1986 bis 2001 das renommierte Berliner Wissenschaftskolleg und initiierte dort 1994 den Forschungsschwerpunkt «Moderne und Islam». Das Zentrum habe er «zu dem vielleicht anregendsten und freiesten Ort Europas» gemacht, hiess es in der Begründung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zur Preisvergabe.

Lepenies erinnerte in seiner Dankesrede an die engen Verflechtungen zwischen der christlichen und der islamischen Welt. Beide seien keine monolithischen, sondern «gebrochene Kulturen». Dies werde von den Fundamentalisten auf beiden Seiten nicht akzeptiert. Der wachsenden Gefahr des islamischen Terrors müsse Europa jedoch «wehrhaft» begegnen. «Nicht nur die Abwehr des Islamismus, auch die Kritik des Islam ist - wie jede Religionskritik - legitim. Diese Kritik aber kann die Versäumnisse der europäischen Integrationspolitik nicht kompensieren», sagte Lepenies mit Blick auf die Millionen von Moslems, die in Europa leben.

Europa habe aber weder ein Monopol auf die Moderne noch ein «Patent auf die Demokratie», betonte der Wissenschaftler. «Ansteckend kann die Demokratie nur wirken, wenn sie nicht routiniert betrieben oder anderen mit Gewalt aufgezwungen, sondern mit Enthusiasmus gelebt wird.» Scharfe Kritik übte Lepenies an der deutschen Bildungspolitik. Die Kürzungen für die «kleinen Fächer» an den Hochschulen, die sich um andere Länder und Kulturen wie den Orient kümmerten, seien «aberwitzig», sagte der 65-jährige Soziologe, der bis April dieses Jahres Professor an der FU Berlin war.