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Sonntag
17.08.2008

Die 61. Filmfestival-Ausgabe war so schwankend und launisch wie Petrus, der einige Abende dem Publikum verdarb. Obs donnert und Bindfäden regnet: Die Filme finden auf Europas schönster und grösster Leinwand statt. Doch das Herzstück des Festivals am Lago Maggiore steckt in der Krise. Noch kein Infarkt, aber eine Schwäche. Wenn ein nettes Kinder-Actionabenteuer wie «Son of Rambow» den UBS-Publikumspreis (20 000 Franken) gewinnt, stimmt etwas nicht, findet Klein-Report-Mitarbeiter Rolf Breiner.

Stimmte etwas nicht mit den Stimmzetteln oder mit der Auswahl? Überhaupt die Preise rieselten vom Locarneser Himmel wie der Regen allzu oft auf die Piazza Grande. Den Variety Piazza Grande Award gewann die schrullig-schräge Komödie aus Island, «Back Soon». Eine Sache für Cineasten.

Bei der Preisinflation ging ein Preis fast unter: Die Festivalsektion, die «Semaine de la critique», bot sieben Filme von Porträts über Contergan-Menschen, die nackt für einen Kalender posieren, «Nobody`s Perfect», bis zum vielschichtigen Künstlerpanorama «Bill - das perfekte Augenmass». Den Preis der SRG idée suisse für die «Semaine de la critique» gewann freilich der polnische Beitrag «Latawce» (Kites) der Polin Beata Dzianowicz über einen polnischen Filmer, der in Kabul Schülern das Filmen beibringen will. Diese Filme haben gute Kinochancen, was man freilich von den Leoparden-Trägern nicht sagen kann. Die meisten von ihnen werden in der Versenkung verschwinden.

Und Locarno und sein Filmfestival drohen auch unterzugehen, wenn nach der Ära Frédéric Maire, der nach der 62. Ausgabe im nächsten Jahr abtritt, nicht eine Neuorientierung stattfindet, endlich ein Festivalzentrum gefunden und das ganze Programm abgespeckt wird. Das Festival hat seine Seele an Sponsoren verkauft, das Publikum hat reagiert - auf das unbefriedigende Piazza-Angebot, auf eine verzettelte Programmierung und seltene Emotionen.

Ein Kinoerlebnis der besonderen Art wurde die bewegende Dokumentation über den Eisenbahnerstreik in Bellinzona: «Giù le mani». Da kamen selbst dem beherrschten Festivaldirektor Marco Solari (beinahe) die Tränen.