Die 63. Mostra Internazionale d`Arte Cinematografica von Venedig ist starkem Druck ausgesetzt. Mit dem im Oktober erstmals stattfindenden Filmfestival in Rom steht eine kräftige Konkurrenz ins Haus. Das mit angeblich 16 Millionen Euro ausgestattete neue Festival wirbt schon lange, und jetzt auch in Venedig, mit grossen Namen wie Nicole Kidman und Woody Allen um Publikum und Publicity. Marco Müller, der künstlerische Direktor der Mostra, verteidigt «sein» Venedig klug. Zum einen bietet er Stars am laufenden Band: Scarlett Johansson, Juliette Binoche, Helen Mirren oder Ethan Hawke etwa flanierten bereits über den roten Teppich. Zum anderen bietet er ein künstlerisch hochstehendes Programm im 21 Filme umfassenden Hauptwettbewerb um den Goldenen Löwen, wie auch in den anderen, zum Teil ebenfalls mit Preisen lockenden Festivalsektionen. Trotz Schauspielprominenz aus Hollywood musste das US-Kino in Venedig auch Kritik einstecken. Regielegende Oliver Stone erntete für sein konkurrenzlos gezeigtes Drama «World Trade Center» über den 11. September 2001 zahlreiche Buhs. Auch der mit Adrian Brody, Diane Lane und Ben Affleck prominent besetzte Wettbewerbsbeitrag «Hollywoodland» von Allen Coulter, ein in den 1950er-Jahren angesiedelter Thriller, fand nicht nur Zustimmung.
Dafür glänzt Hollywood in der Sektion Horizonte: «Infamous» von Regisseur Douglas McGrath etwa, der, wie bereits «Capote», von der Entstehung des Literaturbestsellers «Kaltblütig» erzählt. «Infamous» ist psychologisch und politisch sogar noch fesselnder als der Vorgängerfilm. Und Toby Jones spielt mit seinem Porträt des Schriftstellers Truman Capote den dafür im Frühjahr mit einem Oscar geehrten Philippe Seymour Hoffmann glatt an die Wand. Im Hauptwettbewerb dominiert bisher das europäische Kino. Jubel löste etwa «The Queen» von Stephen Frears aus Grossbritannien aus. Helen Mirren spielt Elisabeth II., unmittelbar nach dem Tod von Lady Di. Das klingt nach Illustriertenstory, ist jedoch eine scharfe Satire auf die gegenwärtige britische Gesellschaft.
Der etwa von den Festivals in Berlin oder auch Locarno erweckte Eindruck, die aktuelle Filmproduktion biete wenig Erfreuliches, wird in Venedig kraftvoll revidiert. Es laufen zahlreiche Filme, auf die sich auch die Kinogänger zuhause freuen können. Nur der Festivaljury, unter Präsidentin Catherine Deneuve, dürfte das Kopfzerbrechen bereiten. Schon jetzt, noch vor der Halbzeit, gibt es gleich mehrere Kandidaten für einen Hauptpreis.
Sonntag
03.09.2006