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Dienstag
06.05.2008

Obwohl bereits seit der ersten Hälfte des Jahres 2005 Gerüchte über angebliche Unregelmässigkeiten im Umfeld des damaligen CEO Aleksander Ruzicka kursierten, lancierte erst am 5. Juli 2005 der Firmenanwalt Johann-Christoph Gaedertz offenbar in Kenntnis der heutigen Aegis-Firmenspitze in Wiesbaden und London anonym eine Strafanzeige. Darin werden strafrechtlich relevante Vorgänge rund um das Handling von Freispots geschildert. In Kenntnis dieser Anzeige habe man CEO Ruzicka 15 Monate lang in seiner Position belassen, gab ein Informant bekannt. Staatsanwaltschaft und Unternehmen schauten zu, wie sich Ruzicka angeblich über völlig unbekannte Schein- und Tarnfirmen die Taschen füllte und das Unternehmen schädigte.

Allein in diesem Zeitraum sollen laut einem Gutachten angebliche Scheinrechnungen im Wert von knapp 20 Millionen Euro (33 Millionen Schweizer Franken) in die Taschen Ruzickas geflossen sein. Unter Beobachtung des Aegis-Controllings wurde sogar noch am 5. September 2006 eine vermeintliche Scheinrechnung bezahlt, eine Woche vor den Hausdurchsuchungen. Erst ein Jahr später, am 2. November 2007, bestätigt Aegis Media: Kein Whistleblower hat Ruzicka angezeigt, sondern das eigene Unternehmen.

Am 10. Oktober 2006 trennte sich Aegis von Ruzicka «in beidseitigem Einvernehmen». Am 24. Oktober 2006 entstand plötzlich Fluchtgefahr: Aleksander Ruzicka wurde in seinem Haus in Wiesbaden verhaftet. Am 15. Februar 2007 betrachtete Aegis-Media-CEO Andreas Bölte in einem Interview mit der Fachpublikation «Werben und Verkaufen» die Affäre Ruzicka als abgehakt. Zu voreilig. Womit zu diesem Zeitpunkt niemand rechnet: Ruzicka packte aus! Im März 2007 nahm seine Aussage gegenüber der Staatsanwaltschaft Wiesbaden zehn ganze Tage in Anspruch. Jedoch: Deren Ermittlungen aufgrund dieser Einlassung bleiben kaum erkennbar. Sie ordnen seine Aussagen als Schutzbehauptungen ein.

Zu festgefahren scheint deren Eindruck vom schillernden Werbeboss, der mit den Millionen um sich wirft, die er bei seinem Arbeitgeber veruntreut hat. Im Juli 2007 legen die Ermittler die 167-seitige Anklage vor. 86 Fälle der Untreue (ungetreue Geschäftsführung). Vorwurf: Scheinrechnungen sollen über ein Netzwerk aus Schein- und Tarnfirmen ohne ersichtlichen Rechtsgrund an Aegis Media gestellt worden sein. Summe des angeblich entstandenen Schadens: 51,2 Millionen Euro (ca. 85 Millionen Schweizer Franken). Die Ermittler haben bis heute 27 Personen im Visier. Die Ermittlungen im Gesamtkomplex Aegis Media sind keineswegs abgeschlossen, so die Staatsanwaltschaft Wiesbaden auf Anfrage. Auch andere Behörden sind aktiv: Gegen fast alle anderen Geschäftsführer von deutschen Mediaagenturen sowie gegen die beiden Geschäftsführer der TV-Vermarkter IP Deutschland und SevenOne Media laufen strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Zum Stand und Grund der Ermittlungen machen die Staatsanwaltschaften keine Angaben.

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn der Media-Affäre ging Aleksander Ruzicka am 10. September 2007 erstmals an die Öffentlichkeit. Aus der Untersuchungshaft heraus beantwortete er mehr als 30 Fragen in einem Interview. Ohne Anwalt. Das Interview löste eine Lawine aus. Ruzicka beschrieb die «Geheime Schatzkiste der Mediaagenturen» in allen Details. Er schildert den agenturinternen Handel mit Freispots, das Kapitalisieren von Naturalrabatten über Barterfirmen oder den Verkauf an andere Kunden; aber auch dubiose Events, bei denen er Kunden und Medienvertreter ausgehorcht haben soll. Ob die von Ruzicka geschilderten Details eine Relevanz zum Vorwurf der Untreue haben, oder ob er mit Details der undurchsichtigen Mediabranche davon ablenken will, ist zunächst unklar. Jedoch gehen die Konsequenzen der Media-Affäre um Aleksander Ruzicka längst über den Prozess in Wiesbaden hinaus. Ruzicka dazu: «Der Prozess wird die Agenturlandschaft nachhaltig verändern.» - Siehe auch: Fall Ruzicka: Neueste Entwicklung bei der Aegis Media und Fall Ruzicka: Schleppende Gerichtsverhandlung und wenig Licht