Der Prozess gegen den türkischen Schriftsteller und Friedenspreisträger Orhan Pamuk («Schnee») ist geplatzt. Das bestätigte der Anwalt Kemal Kerincsiz am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Der zuständige Richter im Istanbuler Stadtteil Sisli habe am Montagmorgen entschieden, das Verfahren einzustellen, sagte Kerincsiz. Er war in dem Prozess als Vertreter der Nebenklage aufgetreten und will vor dem Obersten Berufungsgericht in Ankara Einspruch gegen die Einstellung des Prozesses einlegen.
Pamuk musste sich wegen des Vorwurfs der «Beleidigung des Türkentums» vor Gericht verantworten. Er hatte in einem Interview im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» gesagt, in der Türkei seien 30 000 Kurden und eine Million Armenier getötet worden. Bei der Prozesseröffnung am 16. Dezember hatte das Gericht in Sisli entschieden, auf eine Genehmigung des Justizministeriums für das Verfahren zu warten. Justizminister Cemil Cicek hatte dem Gericht am Sonntag jedoch mitgeteilt, dass er nach den im vergangenen Sommer in Kraft getretenen Reformgesetzen keine Befugnis habe, sich in das Verfahren einzumischen. Darauf habe der Richter nun entschieden, den Prozess einzustellen, sagte Kerincsiz.
Dies sei eine gute Nachricht nicht nur für Pamuk, sondern auch für die freie Meinungsäusserung in der Türkei, sagte EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn in Brüssel. Zugleich erinnerte er daran, dass viele Journalisten, Schriftsteller und Akademiker noch immer vor vergleichbaren Anklagen stünden. Es sei zu hoffen, dass die Entscheidung im Fall Pamuk den Weg für einen «positiven Ausgang» auch der anderen Fälle ebnen werde. Die Türkei müsse in ihrem Strafrecht die Lücken schliessen, die zu viel Spielraum für eine missbräuchliche und restriktive Interpretation des Rechts auf Meinungsfreiheit liessen. - Mehr dazu: Türkei stellt Verfahren gegen Schriftsteller Pamuk ein, Oberstes türkisches Gericht weckt Hoffnung für Pamuk-Verfahren und Orhan Pamuk erhält Unterstützung vom türkischen Ministerpräsidenten
Montag
23.01.2006