Am Freitagabend haben der Verlag Gruner + Jahr und der «Stern» zum ersten Mal den Henri-Nannen-Preis vergeben, mit dem Bestleistungen im deutschsprachigen Printjournalismus ausgezeichnet werden. Die insgesamt 13 Preisträger wurden im Rahmen der festlichen Premiere im deutschen Schauspielhaus, Hamburg, vor rund 1000 Gästen aus Medien, Kultur, Politik und Wirtschaft geehrt. Mit dem Henri-Nannen-Preis 2005 wurden ausgezeichnet: Stefan Willeke («Die Zeit»), Freddie Röckenhaus («Süddeutsche Zeitung», SZ) und Thomas Hennecke («Kicker»), das «Spiegel»-Team Uwe Buse, Ullrich Fichtner, Mario Kaiser, Uwe Klussmann, Walter Mayr und Christian Neef sowie der chinesische Fotograf Yang Yankang (für «Geo»). Ebenfalls ausgezeichnet wurden Peter Scholl-Latour, die weissrussische Journalistin Irina Chalib sowie das «Streiflicht» der «Süddeutschen Zeitung».
Nach ihrer Sitzung vom Donnerstag hat die Hauptjury Stefan Willeke von der «Zeit» den Henri-Nannen-Preis für die beste Reportage zuerkannt. Willeke ist damit zugleich Kisch-Preisträger des Jahres 2005 - der seit 1977 vom «Stern» vergebene Egon-Erwin-Kisch-Preis wird unter dem Dach des Nannen-Preises fortgeführt. Willeke bekommt die Auszeichnung für seine Reportage «Herr Mo holt die Fabrik», die die 16 Monate dauernde Demontage der modernsten Kokerei der Welt und ihre Verlagerung von Dortmund nach China beschreibt. «Willeke hat einen Text verfasst, dem es gelingt, Welttheater als Kammerspiel darzustellen und gleichzeitig eine Globalisierungs-Groteske an zwei Personen zu beschreiben», so die von «Stern»-Chefredakteur Thomas Osterkorn vorgetragene Begründung der Hauptjury. «Sie verzaubert den Verkauf einer stillgelegten Kokerei - einen Stoff, der eigentlich niemanden interessiert - in ein faszinierendes Stück journalistischer Literatur.»
In der Kategorie «Beste investigative Berichterstattung» geht der Henri-Nannen-Preis 2005 an Freddie Röckenhaus von der SZ und Thomas Hennecke vom «Kicker» für ihre gemeinsame Recherche zum Finanzskandal beim Bundesligaverein Borussia Dortmund. Mit ihren akribischen Enthüllungen haben sie die Geschäftsführer des Vereins zum Offenbarungseid gezwungen, die im Jahr 2000 dem Rausch der Börse verfielen und dabei Millionen verschleuderten, bis schliesslich 80% des beim Börsengang eingenommenen Geldes weg waren. «Röckenhaus und Hennecke glaubten den hartnäckig vorgetragenen Lügen der Borussia-Manager nicht, suchten nach der Wahrheit, widersetzten sich lokalen Machtinhabern, widerstanden allen Drohungen und Einschüchterungsversuchen», so die Jury-Begründung. «Stück für Stück, Woche für Woche brachten sie ein Stück mehr von der Wahrheit.»
Für ihren Beitrag «Putins Ground Zero» ehrt die Jury die «Spiegel»-Reporter Uwe Buse, Ullrich Fichtner, Mario Kaiser, Uwe Klussmann, Walter Mayr und Christian Neef mit dem Henri-Nannen-Preis für die «besonders verständliche Berichterstattung über einen aktuellen oder historischen Sachverhalt» (Dokumentation). Sie recherchierten in Nordossetien, Inguschien und Tschetschenien die Hintergründe des brutalen Überfalls islamistischer Terroristen auf eine Schule in Beslan. Er war ein Akt der Barbarei, der im Westen allerdings schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwand. «Zur Aufgabe und zur Würde des Printjournalismus gehört es, solche Ereignisse für die kollektive Erinnerung festzuhalten und das Leid der betroffenen Menschen zu dokumentieren», heisst es in der von «Focus»-Chefredakteur Helmut Markwort vorgetragenen Jury-Begründung. «Mit akribischer Recherche hat das Spiegel-Team von Russland-Experten und Reportern ein detailliertes Protokoll der blutigen Ereignisse vorgelegt, das seine Leser mit seiner bestechenden Authentizität überzeugt.»
Der chinesische Fotograf Yang Yankang ist der Henri-Nannen-Preisträger 2005 in der Kategorie «fotografische Autorenleistung». Damit wird seine Fotoreportage «Der lange Marsch zum lieben Gott» prämiert, die 2004 von «Geo» veröffentlicht wurde. Sie handelt von der neuen spirituellen Heimat, die mindestens 13 Millionen Chinesen heute nicht mehr in der kommunistischen Partei, sondern in der katholischen Kirche finden. Fotograf und Jurymitglied Michel Comte in seiner Laudatio: «In der allerbesten Tradition klassischer Fotografie sind Yankang bewegende Fotos, unprätentiös und von ungewöhnlicher Intensität gelungen. Dabei hat sich selbst nicht wichtig gemacht, aber sein Thema umso wichtiger genommen - ein schwieriges Thema, schwer zu recherchieren, noch schwerer zu fotografieren.» Nach übereinstimmender Ansicht der Vorjuroren und Juroren wurden in diesem Jahr in der Kategorie «Herausragende humorvolle und unterhaltende Berichterstattung» keine preiswürdigen Arbeiten eingereicht. Das Gremium hat daraufhin dem «Streiflicht» der «Süddeutschen Zeitung» den Henri-Nannen-Preis in freier Vergabe zuerkannt.
Insgesamt waren für den Henri-Nannen-Preis rund 820 Text- und Fotoarbeiten eingereicht worden. Sie haben ein aufwendiges Auswahlverfahren durchlaufen und wurden von insgesamt 18 erfahrenen Vorjuroren begutachtet. Für den Jahrgang 2005 wurden schliesslich 17 Arbeiten nominiert. Die Hauptjury, in der fast alle grossen Verlagshäuser im Sinne der Unabhängigkeit des Preises vertreten sind, wählte daraus die Sieger des diesjährigen Wettbewerbs aus. Zur Hauptjury 2005 gehören Peter-Matthias Gaede («Geo»), Werner Kilz («Süddeutsche Zeitung»), Roger Köppel («Welt»), Giovanni di Lorenzo («Die Zeit»), Helmut Markwort («Focus»), Andreas Petzold («Stern»), Frank Schirrmacher (FAZ), die Autorin Elke Heidenreich, der «Spiegel»-Autor Cordt Schnibben sowie die Fotografen Ute Mahler und Michel Comte. Mit dem neuen Henri-Nannen-Preis wollen Gruner + Jahr und der «Stern» die kulturelle Bedeutung anspruchsvollen Printjournalismus herausstellen, einen Beitrag zu dessen Pflege leisten und zugleich an das Werk des «Stern»-Gründers Nannen (1913-1996) erinnern. Der Henri-Nannen-Preis ist mit jeweils 5000 Euro dotiert. Die Preisträger bekommen ausserdem den «Henri» - eine Bronzeplastik Nannens, die der Künstler Reiner Fetting eigens für diesen Zweck geschaffen hat.
Sonntag
22.05.2005