Die Mitteilung erschüttert die Schweizer Medienwelt: «20 Minuten» stellt per Ende 2025 die Printausgabe ein. Zwei aus dem Team der ersten Stunden, die Medienunternehmer Sacha Wigdorovits und Rolf Bollmann, analysieren die Situation – und kommen zu divergierenden Ansichten.
Sacha Wigdorovits hat in seinem Berufsleben als Medienmacher (fast) alles gesehen. Seine Rolle als Projektleiter und Delegierter des Verwaltungsrats der 20 Minuten (Schweiz) AG bei der Lancierung der Pendlerzeitung «20 Minuten», im Auftrag des norwegischen Verlagshauses Schibsted und des Schweizer Unternehmers Ernst Müller-Möhl, gehört aber noch immer zu den Highlights seiner Karriere: «Wir waren die Indianer, die die Konkurrenz in der Wagenburg belagerten.»
Was der frühere «Blick»-Chefredaktor damit sagen will: Weil die SBB beim Verteilen der Gratiszeitungen in den Bahnhöfen dem schwedischen Produkt «Metropol» den Vorzug gegeben hatten, musste «20 Minuten» improvisieren – und dies tat Wigdorovits, indem er sogenannte «Newsies» ins Rennen schickte: meist sehr junge Verteilerinnen und Verteiler, die an der Schwelle zu den Bahnhöfen den Pendlern die Zeitungen in die Hand drückten. Er habe sich an alte Hollywood-Filme erinnert und dies in die Gegenwart transportiert, so der Zürcher.
Dies war im Dezember 1999. Seither hat sich die Medienwelt radikal geändert – und das Konsumverhalten der Menschen ebenso.
Heute werden News vor allem via soziale Medien und über das Internet aufgenommen. Deshalb ist für Wigdorovits das Ende der Printausgabe von «20 Minuten» eine logische Konsequenz. Er kenne zwar die genauen Zahlen nicht, aber die Entscheidung überrasche ihn nicht, wie er gegenüber dem Klein Report sagte: «Die Gegenwart und Zukunft gehören weitestgehend den digitalen Medien. Dem stehen beim Print enorme Druck- und Vertriebskosten gegenüber. Natürlich werde ich es vermissen, in den Trams und Bussen keine Fahrgäste mehr zu sehen, die ‚20 Minuten‘ in Händen halten, das war ja in gewisser Weise auch ‚mein Baby‘. Aber in diesem Geschäft kann man sich keine Sentimentalitäten leisten.»
Eine andere Sicht hat Rolf Bollmann, Verlagsleiter in den Anfangsjahren. Für den Winterthurer bedeutete der Verkauf von «20 Minuten» an Tamedia 2005 den Wendepunkt. Zwar blieb der Brand ein Erfolgsprodukt, aber heute müsse man sagen, dass an der Zürcher Werdstrasse einige schlechte Entscheidungen gefällt wurden.
Bollmann liefert die Zahlen: Im Jahr 2005 (unmittelbar nach dem Verkauf von «20 Minuten» von Schibsted und Carolina Müller-Möhl an Tamedia) habe «20 Minuten» rund 80 Angestellte beschäftigt – und bei einem Umsatz von zirka 100 Millionen Franken einen Gewinn von 18 Millionen Franken ausgewiesen.
Heute seien es (bei einem unveränderten Umsatz) 300 Mitarbeitende und ein Gewinn von 6 bis 7 Millionen Franken.
Bollmann kritisiert die mangelnde «Kostendisziplin» bei Tamedia und spricht von einem «Missmanagement», das sich in einem «übermütigen Verhalten» der Unternehmensführung und einem «aufgeblähten Personalapparat» geäussert habe.
Er ärgert sich vor allem darüber, dass sich die Tamedia-Führung lange mit «fremden Federn» geschmückt habe und noch vor Kurzem das 25-Jahre-Jubiläum von «20 Minuten» im grossen Stil gefeiert hat.
Dabei sei die Basis des Erfolgs von anderen gelegt worden – von den Norwegern von Schibsted – und von einem «genialen Team» von Zeitungsmachenden, die exakt wussten, was sie taten. Von der heutigen Verlagsleitung könne man gleiches nicht behaupten.
Auch deshalb ist der 17. Juni 2025 für Rolf Bollmann ein schwarzer Tag – ein rabenschwarzer sogar.