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Montag
04.07.2011

Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche gab sich in Hamburg just an ihrem zehnten Geburtstag zwei peinliche Blössen - einerseits mit einer Führungskrise, andererseits mit einem zweckentfremdeten Preis. Roger Blum, Mitglied des Netzwerks Recherche und bei der Mitgliederversammlung sowie der Preisverleihung vor Ort, kommentiert für den Klein Report.

Das Netzwerk Recherche in Deutschland ist mit über 500 Mitgliedern eine der erfolgreichsten und kreativsten Journalistenorganisationen Europas. Dass es so erfolgreich ist, hat es vor allem seinem umtriebigen und engagierten Vorsitzenden Thomas Leif zu verdanken. Der 52-jährige Fernsehreporter des Südwestrundfunks (SWR), Buchautor, Moderator («2+Leif») und Politikprofessor an der Universität Koblenz-Landau war so etwas wie ein Herbert Wehner des Journalismus - mit klarem Ziel vor Augen, unermüdlich kämpfend, scharf formulierend, keinen Widerspruch duldend, ein Diktator im Interesse einer guten Sache.

Als der Vorstand des Netzwerks finanzielle Unregelmässigkeiten entdeckte - Beiträge der Bundeszentrale für politische Bildung wurden möglicherweise in den Jahren 2008 bis 2010 zu Unrecht bezogen und jetzt vorsorglich zurückbezahlt, weitere Abklärungen durch eine unabhängige Wirtschaftsprüfung und durch die Bundeszentrale sind im Gang -, liessen die Vorstandskollegen ihren Vorsitzenden fallen. Leif, der zwar die Verantwortung für die Unregelmässigkeiten übernahm, aber keinen Anlass für seinen Rücktritt sah, wurde letztlich entmachtet. Im Spätherbst wird eine Mitgliederversammlung einen neuen Vorsitzenden wählen.

Es ist bedauerlich, dass Thomas Leif keinen besseren Abgang hatte und gewissermassen davongejagt wurde. Offensichtlich hatte er nicht erkannt, dass er den Bogen überspannt hatte. Die übrigen Vorstandsmitglieder wollten nicht weiter mit ihm zusammenarbeiten. Die Unregelmässigkeiten waren nur die letzten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten. Die grossen Verdienste von Thomas Leif bestritt indessen niemand. Dass dies alles auf ziemlich verquere Art just am zehnten Geburtstag des Netzwerks brockenweise kommuniziert wurde, war eine peinliche Blösse für die Organisation, die sonst überall Transparenz und ethische Korrektheit einfordert.

Die zweite Blösse gab sich das Netzwerk mit dem Preis der «verschlossenen Auster», der jährlich an eine Person oder Organisation verliehen wird, die sich durch krasse Informationsverweigerung ausgezeichnet, genauer: unbeliebt gemacht hat. Dieses Mal ging der Preis an die vier grossen Atomenergiekonzerne Deutschlands: E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall.

Heribert Prantl von der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung» sagte in seiner Laudatio, die Atomkonzerne würden «für gefährlich einseitige, marktmächtige Information», «für die Verharmlosung von Gefahren, für exzessiven Lobbyismus», für «das Herunterspielen von Unfällen» ausgezeichnet und dafür, dass sie «den Verbraucher die Zeche haben bezahlen lassen». Es sei wie im Film «Kir Royal», wo der Klebstoffgeneraldirektor den Reporter einfach kaufen will: «Ich scheiss dich so was von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast (…). Gegen meine Kohle hast du keine Chance.»

In seiner brillanten Rede musste sich Prantl ziemlich winden, um eine Begründung für die Verleihung an just diese Empfänger zu finden, denn «die Atomindustrie kommuniziert wie der Teufel», wie er selbst sagte. Von Informationsverhinderung also keine Spur.  Es war denn auch für Guido Knott, den Kommunikationschef von E.ON, ein Leichtes, in seiner Gegenrede nachzuweisen, dass das Netzwerk Recherche aufgrund seiner Vergabekriterien die falschen Preisträger ausgewählt hat. Damit hat sich die Preisjury aus den Reihen des Vorstands eine peinliche Blösse gegeben, denn wer Kommunikationsverhinderer brandmarken will, kann nicht plötzlich jene an ihre Stelle setzen, die Kommunikation ausschenken wie Freibier. Heribert Prantl, der sich an die Vorgabe der Jury halten musste, hat zu retten versucht, was noch zu retten war. 

Beide Blössen weisen das Netzwerk Recherche auf den Weg zurück: Zurück zu seinen Idealen und Grundsätzen - sowohl in der Vorstandsarbeit wie bei der Preisverleihung.