Der Ringier-Verleger Michael Ringier im Gespräch mit der Mitarbeiterzeitschrift «Domo», 3. Teil.
«Domo»: News sind substituierbar und hoch verderblich. Damit werden Sie kein Geld machen können, weil andere dieselben News ebenfalls verbreiten. Also ist der Newsroom letztlich nur eine Effizienzsteigerung und eben nicht die neue Basis des Rechercheurs?
Michael Ringier: Diese Analyse ist falsch. Richtig daran ist, dass News ein Allgemeingut sind. Für sie reicht ein Durchlauferhitzer, dafür brauchen wir keinen Newsroom. Diese News aber sind die Basis für den Journalismus, den wir verkaufen können. Die recherchierte, exklusive Story. Wir bieten unseren Konsumenten nicht Chroniken an, sondern Hintergründe und Erklärungen, die wir im Newsroom in die richtigen Kanäle steuern und durch Teams entstehen lassen. Aber ich scheine Ihre Skepsis nicht ausräumen zu können.
Stimmt.
Michael Ringier: Wie ist es in der Forschung? Teams bringen die besseren Resultate zustande als Einzelkämpfer. In der Gemeinschaft schwirren Gedanken schneller, neue Ansätze entstehen, und die Arbeitsteilung erleichtert das Leben. Das ist unser Newsroom, der die klassische Redaktion ablöst. Aber ich verhehle nicht, dass auch hier Learning by Doing ansteht.
Sie haben das Stichwort Digitalisierung erwähnt. Blendwörtern misstrauen Sie. Ist dies eines?
Michael Ringier: Ja und nein. Ich höre davon seit 15 Jahren. Zum Teil hatten die Leute, die davon zum Beispiel am World Economic Forum in Davos sprachen, sehr wohl recht, doch sie täuschten sich auf der Zeitachse um mehr als zehn Jahre. Das bedeutete für die meisten das Verderben. Wer mit neuen Technologien zu früh kommt, der geht in der Regel pleite. Wer zu spät ist, ebenfalls. Die Kunst ist es, möglichst nahe an der Realität zu planen. In den letzten fünf Jahren hat sich hier sehr viel entwickelt. Die Internet-Penetration ist auch bei älteren Menschen inzwischen so extrem hoch, dass die Zeit für neue Medienkanäle reif ist. Aber auch hier gilt: Die Digitalisierung an sich ist nichts wert. Sie zählt nur, wenn der Kunde und wir davon profitieren können.
Letzteres ist ein Problem: Für viele digitale Ideen fehlen die Geschäftsmodelle.
Michael Ringier: Stimmt. Wir lassen von vielen Dingen auch die Finger. Andererseits ist es unsere grosse Chance, dass bereits heute derart viel Inhalt digitalisiert angeboten wird. Nehmen Sie das Beispiel des Lesegeräts Kindle. Ich könnte bereits mehr als 3000 Bücher darauf abspeichern. Wer will das? Ich nicht. Mir reichen zwei Taschenbücher auf einer Reise. Das gedruckte Buch finde ich nach wie vor spannend und angenehm für das Lesen.
Das klingt etwas altmodisch.
Michael Ringier: Mag sein. Aber ich muss nun einmal nicht fünf Bücher gleichzeitig lesen und beständig von Shakespeare zu Tom Wolfe wechseln. Ein anderes Beispiel: Das Web bietet uns ein heilloses Chaos. Das Internet ist eine gigantische Ansammlung von absolutem Quatsch. Das ist unsere grosse Chance. Die Menschen wollen nach wie vor ein Vertrauensverhältnis leben mit jenem, der ihnen Journalismus liefert. Das können wir bieten. Wir sind eine 176 Jahre alte Traditionsfirma, die schon sehr viele technologische Entwicklungen überlebt oder adaptiert hat. Und wir haben grossartige journalistische Marken, denen die Leute vertrauen. Jetzt gerade erleben wir vielleicht die grösste Herausforderung, aber unsere Erfahrung macht mich sehr zuversichtlich. Ich weiss als Eigentümer dieser Traditionsfirma mindestens zwei Dinge: Dass nichts über Nacht geschieht und dass das Neue das Alte in der Regel nicht einfach komplett verdrängt. Das Internet macht nicht alles plötzlich besser, was bisher auf Papier stattgefunden hat. Es verändert nur.
Welcher aktuellen Entwicklung trauen Sie nicht?
Michael Ringier: Ich traue vor allem den Dingen nicht, die fast schon religiös angebetet werden. Oft ist etwas für ein paar Jahre gültig, aber danach muss es neu erfunden werden. Ich misstraue deshalb allen Dogmen. Japan war mal ein wirtschaftliches Vorbild für alle - wo steht Japan heute? Derzeit heisst die Losung: China, China, China. Die Realitäten in China zeigen aber, dass kein Land aber auch keine andere Firma in allem als Vorbild dienen kann. Überall sind kleine Einzelstücke zu finden, die für uns gut sein könnten. Wir müssen sie nur finden. Doch die grosse heil bringende Gesamtlösung, die uns den Gewinn der Zukunft bringt, existiert nicht.
Der Verleger und Journalist Michael Ringier spricht wie ein Manager.
Michael Ringier: Machen Sie mir das zum Vorwurf? Wenn ich nicht kommerziell denken würde, wäre dies hier unser letztes Interview. Ich könnte Sie nicht mehr bezahlen, und Sie könnten mich nicht mehr fragen.
Vielleicht würde ich dann Salat verkaufen. Ringier macht E-Commerce. Was möchten Sie nie verkaufen?
Michael Ringier: Wir kennen ethische Grenzen. Aber ich habe keine Probleme damit, Salate zu verkaufen. Ich erinnere an Betty Bossi. Das ist ein hoch professionelles und anständiges Geschäft, mit dem wir sehr gut verdienen. Aber alles werden wir nicht tun, denn unsere Medien sind keine Verkaufsapparate.
Gerade als Verkaufsapparat macht es aber Sinn, E-Commerce und Entertainment zu betreiben. Hat in diesem Apparat der Journalismus noch Platz?
Michael Ringier: Natürlich. Unser Journalismus steht und fällt mit unserer Glaubwürdigkeit. Das ist keine neue Diskussion. Kein Journalist wird je eine Zeile über unser Geschäft AutoScout 24 schreiben müssen, wenn er nicht will.
So macht der Besitz einer Wertschöpfungskette aber wenig Sinn. Wenn wir das Konzert, das wir selber organisieren und via Ticketing bewirtschaften, nicht auch publizistisch anheizen und auswerten, dann vergeben wir uns eine Chance.
Das ist nun wieder ein theoretisches Beispiel, das vielleicht eintreten könnte, von dem mir aber bisher kein solches bekannt ist. Mit anderen Worten: Sie malen hier eine Gefahr, die es heute gar nicht gibt. Das Gegenteil ist bisher der Fall: Unser Konzertveranstalter arbeitete oft mit Konkurrenzmedien zusammen. Ausserdem, glauben Sie wirklich, dass unsere Leserschaft uns vertrauen würde, wenn wir irgendeine Pflaume einfliegen und auftreten lassen und hochjubeln würden? Ein paar tolle Artikel führen doch nicht zu mehr Ticketverkäufen. Und welcher Journalist würde sich für das hergeben? Mir ist kein Fall bekannt.
Der Blick hat die Band AC/DC aber doch hochgejubelt.
Zu Unrecht?
Michael Ringier: Nein. Die Australier sind Kult.
Sehen Sie. Ist es schlecht, dass wir darüber berichten, an den Tickets verdienen und das Konzert veranstalten? Nein.
Braucht es klare journalistische Regeln, die Limiten aufzeigen?
Michael Ringier: Diese Regeln müssen gelebt werden - und sie werden heute schon gelebt. Man kann aus allem ein Problem machen. Unser Journalist löst diese Probleme in seinem Alltag in der Regel sehr gut.
Dienstag
02.03.2010