Das Mysteriöse an der Macht ist ihre Erscheinungsform. Sie ist zwar, zumindest in einer Demokratie, jeden Tag in den Medien scheinbar öffentlich, aber der Rezipient und Bürger ahnt: Das ist nur die halbe Wahrheit, und das wäre schon viel. Die wahren Ränke werden klandestin in Hinterzimmern geflochten, hier wird an den Seilen gezogen, und was sich draussen bewegt, ist nur ein hübsch inszeniertes Marionettenspiel. Momentan scheint dieser Eindruck von der Politik als Berliner Puppenkiste besonders ausgeprägt zu sein, denn in den kommenden Monaten starten gleich mehrere TV-Produktionen, die die Demokratie-Knüpfer aus dem Hintergrund auf die Bühne bringen wollen.
«Das Kanzleramt» macht am Donnerstag den Anfang. Zunächst wird die fünfteilige Doku-Serie im Kulturkanal Arte täglich ab 20.15 Uhr zu sehen sein. Zur besten Fernsehzeit zwischen Weihnachten und Silvester zeigt die ARD im Hauptprogramm eine Wiederholung, wie die «Welt» schreibt. Wenn dann das reale Leben hinter dem Absperrzaun am Spreebogen erzählt ist, setzt das ZDF im Frühjahr nach und erzählt in fiktionaler Form über das Leben der Mächtigen. Origineller Titel der Serie mit «Tatort»-Kommissar Klaus J. Behrendt als Regierungschef: «Das Kanzleramt». Auch die Dritten haben sich den Politbetrieb als Kulisse nachgebaut, der WDR zeigt am 15. Dezember das Drama «11011 - am Puls der Macht», in dem der Blutdruck durch die Liebesgeschichte einer jungen und hübschen Kanzler-Mitarbeiterin erhöht werden soll.
Doch liefert das reale Kanzleramt überhaupt den Nährboden für so viel Dramatik? 480 Menschen arbeiten hier, ein Kanzler, viele politische Beamte, aber eben auch Protokolldamen, Hauswirtschaftsleiter, Gärtner, kurz: Zuarbeiter für das grosse Ganze. «Frag nicht, was der Kanzler für dich tun kann, sondern was du für den Kanzler tun kannst.» Reden schreiben zum Beispiel, oder Tischdecken bügeln, Ausstellungen und Staatsbesuche organisieren. Liebesglück und Kanzlerleid spielen bei Filmautorin Mechthild Gassner keine Rolle. «Wenn wir mit der Idee vorstellig geworden wären, hier eine Doku-Soap drehen zu wollen, wären wir nach einer Minute wieder vor der Tür gewesen», sagt sie. Aber eine Doku-Serie, das sei nach langen Vorgesprächen dann doch möglich geworden, zumal Produzent Thomas Schadt durch seine bisherigen Schröder-Dokumentationen «Der Kandidat» und «Kanzlerbilder» bei den Entscheidern einen Bonus hatte. Ein halbes Jahr lang durfte sich das Team frei bewegen, um so das grosse weisse Haus, das sonst in der «Tagesschau» nur in der totalen Kameraperspektive gezeigt wird, subjektiv erlebbar zu machen.
Es sei ihm, so Schadt, um das Haus und seine Menschen, nicht um den Kanzler selbst gegangen, auch wenn der ab und zu mal und meistens lächelnd durchs Bild läuft. «Wir haben unsere Geschichten und Personen alle gleichwertig nebeneinander gestellt, um zu zeigen, wie alle gleichermassen zum Funktionieren dieses Amts beitragen.»
Entstanden ist dabei eine Reihe kleiner, hübscher Beobachtungen. Die Putzfrau des Kanzlerbüros reinigt mit der Kittelschürze die Lesebrille des Regierungschefs, die Hauswirtschaftsleiterin bügelt für das Bankett anlässlich des Staatsbesuchs von Frankreichs Staatspräsidenten Jacques Chirac die Tischdecken, Köche sorgen sich um das Ablaufprogramm und Ministerialrat Hans Thaysen darum, dass die Stuhlbeine bei einer Openair-Pressekonferenz im Rasen des Kanzleramts einsinken könnten. Mit gefälliger Hintergrundmusik aneinander geschnitten sieht sich das zwar hübsch an, ein Unterschied zu sattsam bekannten Dokumentationen, etwa über Hoteleröffnungen oder Abläufe in Spitzenrestaurants, ist aber kaum feststellbar. Wenn das alles ist, was hinter den Kulissen der Macht so passiert, reicht weiterhin die «Tagesschau»-Totale.
Donnerstag
16.09.2004