Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) «hat in weit grösserem Ausmass als bisher bekannt Journalisten bespitzelt und sie in rechtswidriger Weise bei der Arbeit und bis ins Privatleben hinein beschattet», schreibt die «Süddeutsche Zeitung» (SZ) am Freitag in einem grossen Artikel auf der Titelseite. Dies habe der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, am Mittwochabend vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestages erklärt und einen entsprechenden Bericht vorgelegt. Die Untersuchungen Schäfers belegen laut der Zeitung, dass der BND nicht nur einzelne Journalisten beschattet hat. Der Dienst habe Journalisten auch gezielt auf Kollegen angesetzt, um zu erfahren, an welchen Themen diese gerade arbeiteten.
Besonders interessiert sei der BND an Redaktoren des Nachrichten-Magazins «Der Spiegel». Namentlich nennt Schäfer laut der SZ fünf Journalisten, die entweder selbst Informationen über Kollegen anboten oder vom BND befragt wurden, was sie über Kollegen berichten könnten. Noch im Herbst 2005 habe der BND demnach Informationen über einen bekannten deutschen Journalisten entgegengenommen. Auch Gaststätten, von denen der Dienst vermutete, dass Redakteure dort Informanten träfen, seien überwacht worden.
Bundesrichter Schäfer bezeichnete die Praktiken nach Informationen der SZ als «unverhältnismässig» und «eindeutig rechtswidrig» und er habe einen eklatanten «Eingriff in die Pressefreiheit» festgestellt. Schäfers Untersuchung belegt zudem, dass der BND Journalisten Geld für Informationen bezahlt hat. Ein ehemaliger «Focus»-Journalist, heute Buchautor, habe von 1982 bis 1998 mehr als 600 000 Mark erhalten. Der BND führte ihn unter dem Decknamen «Schweiger» und «Dali».
Die deutsche Regierung hat Konsequenzen angekündigt, sollten sich Berichte über die Bespitzelung von Journalisten durch den BND bestätigen. «Die Bundesregierung jedenfalls will solche unehrenhaften Infiltrationen nicht und wird gegen sie, wenn es sie gegeben hat, auch vorgehen», sagte Regierungssprecher Thomas Steg am Freitag in Berlin. «Ich habe Ihnen deutlich gemacht, welchen besonderen Stellenwert für die Bundesregierung die Presse- und Informationsfreiheit hat», sagte Steg.
Freitag
12.05.2006