Vor dem Hintergrund der anhaltend schwierigen Marktlage für Tageszeitungen und Zeitschriften, die viele Redaktionen und Verlage vor Sparzwänge stellt, fordern zahlreiche Chefredaktoren eine verstärkte Qualitätsorientierung der Presse. Sorgfältige Recherchen, Gründlichkeit, Zuversicht, eine kritische Berichterstattung und Unabhängigkeit werden von den Chefredaktoren als wichtige Voraussetzungen gesehen, damit sich die Printmedien auch in Zukunft behaupten können. Das zeigt eine Umfrage, die anlässlich der bevorstehenden Verleihung des neuen Henri-Nannen-Preises am 20. Mai im Deutschen Schauspielhaus Hamburg gemeinsam von der Zeitschrift «Stern» und dem Verlag Gruner + Jahr bei rund 80 Print-Chefredaktoren von Tageszeitungen und aktuellen Magazinen aus ganz Deutschland durchgeführt wurde.
Von der schlechten wirtschaftlichen Lage vieler Blätter in Folge der stagnierenden Nachfrage am Kiosk und einer rückläufigen Entwicklung im Anzeigengeschäft ist die Unabhängigkeit der Presse nach Meinung der Befragten allerdings bislang weitgehend unberührt geblieben. So sagen drei Viertel (74%) der Teilnehmer, die Aussage «Thematisch heisse Eisen werden gar nicht erst angepackt» sei unzutreffend. Auch die Einschätzung, viele Redaktionen formulierten aus Sorge vor wirtschaftlichen Konsequenzen vorsichtiger, lehnt die Mehrheit der Befragten (55%) ab. Die Umfrage zeigt gleichwohl, dass die meisten Redaktionen von Personalkürzungen und einer zunehmenden Arbeitsbelastung der Redakteure betroffen sind - dieser Feststellung stimmen 90% der beteiligten Chefredaktoren zu.
Befragt nach den wichtigsten Eigenschaften, die einen Journalisten heute auszeichnen müssen, äussern die Redaktionschefs klare Vorstellungen: Hoch im Kurs stehen die «klare Darstellung von Sachverhalten» sowie «Sorgfalt» (jeweils 66%), «Neugier» (61%), «Unabhängigkeit gegenüber Institutionen und Autoritäten» (56%) sowie «Allgemeinbildung» (54%). Mit Blick auf den journalistischen Nachwuchs attestieren knapp zwei Drittel (62%) der Befragten ihren jungen Mitarbeitenden heute ein gutes bis sehr gutes Qualifikationsniveau. Gegenüber früheren Generationen zeichnen sie sich durch Schnelligkeit, Teamfähigkeit und Flexibilität aus.
Grosse Einigkeit herrscht unter den Befragten darüber, welche Funktionen die Printmedien heute erfüllen: Ihre wichtigste Aufgabe sehen die Top-Journalisten darin, «den Leser zu befähigen, sich (...) eine eigene Meinung zu bilden» (85%). Rund zwei Drittel (68%) verstehen es als ihren Auftrag, «durch Gewichtung, Einordnung und Selektion Orientierung zu bieten». 63% sagen, es gehe auch darum, den Lesern zu erklären, in welcher Weise sie von aktuellen Entwicklungen betroffen sind, während 44% ihre Rolle ausserdem darin sehen, «Service und Leserberatung» zu liefern.
Die Zeitschrift «Stern» und der Verlag Gruner + Jahr vergeben den Henri-Nannen-Preis in diesem Jahr zum ersten Mal, um damit journalistische Bestleistungen auszuzeichnen und an das Schaffen des «Stern»-Gründers Nannen zu erinnern. Insgesamt sind 17 Autoren und 3 Fotografen für den Henri-Nannen-Preis nominiert, der in 7 Kategorien vergeben wird. Die Preisträger werden während der Preisverleihung am 20. Mai 2005 im Deutschen Schauspielhaus Hamburg bekannt gegeben.
Sonntag
08.05.2005