Langsam kommt Bewegung in die Sache: Die Bundesregierung nimmt die massiven Proteste von Verlegern und Chefredakteuren gegen das so genannte «Caroline-Urteil» ernst. Das Kabinett will am Mittwoch über die umstrittene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beraten. «Das Thema wird in der Kabinettssitzung unter dem Punkt Vermischtes behandelt», sagte der Sprecher des Justizministeriums, Ulf Gerder, am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur DDP. Das Thema ist demnach kein gesonderter Punkt auf der Tagesordnung. Derzeit werde in dem Ministerium aber bereits geprüft, wie die Chancen der Einlegung von Rechtsmitteln zu bewerten seien. Bis 24. September besteht die Möglichkeit, gegen das «Caroline-Urteil» des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in die Berufung zu gehen.
Tatsächlich könnte das Strassburger Urteil nachhaltige Konsequenzen für die deutschen Medien beinhalten. Der Beschluss des Gerichtshofs vom 24. Juni sieht vor, dass eine Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens künftig grundsätzlich nur noch dann zulässig sei, wenn es um deren Auftritt in offizieller Funktion geht.
Anlass für die Entscheidung war eine Beschwerde des Hamburger Prominenten-Anwalts Matthias Prinz im Namen von Caroline von Monaco gegen die Bundesrepublik gewesen. Die Richter hatte daraufhin entschieden, dass beim Schutz der Privatsphäre von Prominenten abgewogen werden muss, ob Paparazzi-Fotos und Beiträge, die sich um die privaten Belange öffentlicher Personen drehen, von allgemeinem öffentlichem Interesse seien. Bilder, die Prinzessin Caroline beim Radfahren, Reiten oder am Strand zeigten und die ohne ihr Wissen entstanden waren, werteten die Richter als Privatfotos, die nicht veröffentlicht werden dürften.
Betroffen davon ist ein für deutsche Medien gültiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Prominente nicht nur im häuslichen Bereich vor ungebetenen Fotografen schützt, sondern auch dann, wenn der Betroffene einen «erkennbar abgeschiedenen Raum» aufgesucht habe. Deutsche Gerichte haben seither unter anderem den Abdruck von Bildern verboten, die Caroline von Monaco und einen Begleiter in einer «stillen Ecke» eines Restaurants zeigten.
Die Verfassungsrichter sehen die Entscheidungsgewalt über das öffentliche Interesse einer Veröffentlichung jedoch eindeutig bei den Medien. «Zum Kern der Pressefreiheit gehört es, dass die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht», heisst es in dem Karlsruher Urteil. Dies gelte auch dann, wenn der Artikel über die prominente Person vorrangig der Unterhaltung diene.
Den Europa-Richtern geht diese Regelung nicht weit genug. Sie wollen nur solche Fotos zulassen, die einen Beitrag zu einer öffentlichen Debatte darstellen, für die also «ein Allgemein-Interesse geltend gemacht werden kann». Im Fall der betreffenden Caroline-Fotos entschieden die Menschenrechtler gegen die Veröffentlichung, «da die Beschwerdeführerin dabei kein öffentliches Amt ausübt». Ein Debattenbeitrag sei also nicht gegeben.
Dies treffe die Pressefreiheit im Kern, meint der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm. «Eine kritische Bildberichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens, etwa über die Frage, ob sie das, was sie vertreten, auch selbst leben, also über ihre Glaubwürdigkeit, wird sehr schwierig», sagte Grimm gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Über einen Fussballspieler dürfe nach diesen Kriterien nur noch als Spieler berichtet werden, aber nicht mehr, wenn er nachts in einer Diskothek einen Gast anpöble, so Grimm.
Die protestierenden Verleger und Chefredakteure fürchten indes nicht nur um die Auflagen der bunten Blätter, sie sehen vor allem auch den investigativen Journalismus in Gefahr. Künftige Berichte über Verfehlungen von Amtsträgern wie etwa in der Affäre um den ehemaligen Bundesbank-Chef Ernst Welteke sehen die Pressevertreter durch das Strassburger Urteil ebenfalls bedroht. Mehr dazu: Zeitschriftenverleger drängen auf Revision des Caroline-Urteils
Dienstag
31.08.2004