Ein rechtsgerichteter Juristenverband in der Türkei hat eine neue Strafanzeige gegen den Schriftsteller Orhan Pamuk eingereicht. Die Kläger werfen Pamuk vor, mit Äusserungen in der Tageszeitung «Die Welt» die türkische Armee verunglimpft zu haben. Dies berichtete der türkische Fernsehsender CNN-Türk am Mittwoch. Die Strafanzeige wurde derselben Staatsanwaltschaft zugestellt, die den Autor bereits wegen des Vorwurfs der «Beleidigung des Türkentums» vor Gericht bringt. Pamuk hatte kürzlich in dem Interview anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gesagt, es sei nicht die islamisch geprägte Regierungspartei AKP, sondern «vielmehr das Militär, das eine demokratische Entwicklung manchmal verhindert».
Nach Einschätzung des Juristenverbandes verstiess Pamuk mit dieser Äusserung gegen den Paragrafen 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der bei Verunglimpfungen der Armee bis zu zwei Jahre Haft vorsieht. Auch beim bereits laufenden Verfahren gegen Pamuk geht es um den Paragrafen 301. Pamuk steht deshalb in der Türkei voraussichtlich ab Mitte Dezember ein Strafprozess bevor. Die Anklage wirft ihm «öffentliche Herabsetzung des Türkentums» vor und fordert drei Jahre Haft für den Autor. Der Schriftsteller hatte im Februar gegenüber dem «Magazin» des «Tages-Anzeigers» gesagt, in der Türkei seien 30 000 Kurden und 1 Million Armenier getötet worden, doch niemand ausser ihm wage es, darüber zu sprechen. Die international als Völkermord eingestuften Ereignisse werden in der Türkei nach wie vor als tragischen Folgen einer Zwangsumsiedlung während des Kriegs bezeichnet. - Mehr dazu: Türkischer Autor Pamuk mit Friedenspreis des Buchhandels geehrt
Mittwoch
26.10.2005