Am Freitag ging die letzte Session des schweizerischen Parlamentes vor den Wahlen zu Ende. Neben allen Leistungen und Fehlleistungen in der Sachpolitik hat das Parlament aufs Ende dieser Legislaturperiode eine grosse Errungenschaft in der politischen Kommunikation vorzuweisen: Das Volk kann nun dem Parlament von zu Hause aus bei der Arbeit zugucken. Noch nie war die Transparenz der parlamentarischen Arbeit so hoch. Roger Blum zieht für den Klein Report Bilanz.
Jahrhunderte lang tagten in der Schweiz die Grossen Räte der souveränen Kantone im Geheimen. Nicht einmal die Zeitungsleute durften dabei sein. Ob etwas nach aussen dringen durfte, entschieden die Gnädigen Herren. Dies änderte nach der Französischen Revolution: In der Helvetischen Republik (1798-1803) gab es erstmals ein nationales schweizerisches Parlament, das öffentlich tagte. Paul Usteri und Johann Konrad Escher, zwei Parlamentarier, die zugleich Journalisten waren, machten es sich zur Aufgabe, im «Schweizerischen Republikaner» akribisch genaue Parlamentsberichte zu veröffentlichen. Endgültig öffentlich tagende Parlamente kannte die Schweiz in den Kantonen seit den Dreissigerjahren des 19. Jahrhunderts und im Bund seit 1848. Die Abgeordneten verhandelten jetzt im gläsernen Haus.
Doch was hiess das? Die Bürgerinnen und Bürger hatten ja Wichtigeres zu tun, als während jeder Session in Bern auf der Parlamentstribüne zu sitzen und den Gewählten auf die Finger zu schauen. Sie delegierten diese Aufgabe an die Presse. Die Zeitungen berichteten denn auch lebhaft, wenn auch oft parteiisch, lakonisch und sarkastisch. Die Berichterstattung war stark selektiv und die stimmberechtigten Bürger konnten sich nicht über alle Themen eine eigene Meinung bilden.
Von 1891 an war dies immerhin theoretisch möglich. Denn seither wurden die Debatten wörtlich aufgezeichnet und im «Stenographischen Bulletin» veröffentlicht. Doch die wenigsten Eidgenossen muteten sich zu, diese dicken Bände nachzulesen. Deshalb kam, vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts, immer wieder die Forderung auf, bestimmte Debatten direkt durch das Radio oder das Fernsehen zu übertragen.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) hat in der Folge munter experimentiert: Sie hat Eintretensdebatten zu wichtigen Themen live gesendet, die aber in der Schweiz im Unterschied zu den Detailberatungen, wo es um die Wurst geht, meist langweilig sind. Die Einschaltquoten waren denn auch meist enttäuschend tief. Sie hat zu später Stunde Zusammenfassungen der Sessionstage ausgestrahlt, dies aber bald wieder aufgegeben. Sie hat Diskussionssendungen wie «Bernerhof» oder «Classe politique» entwickelt, in denen Sessionsthemen behandelt werden.
Es gab in der Schweiz - anders als in Grossbritannien oder Deutschland mit Phoenix - nie einen separaten Parlamentskanal für das Gesamtpublikum. Die Parlamentsdebatten werden über Fernsehkanäle bloss zuhanden der Bundesverwaltung und der Bundeshausjournalisten übertragen. Die einzige Direktübertragung für die Gesamtöffentlichkeit, die unbestritten ist und die überlebt hat, ist die der Bundesratswahlen. Es gibt sie seit 1954.
Inzwischen aber hat das Parlament selber in der Herstellung von Öffentlichkeit alle externen Medien überholt: Zuerst richtete es den direkten Textmitschnitt ein: Man konnte auf der Parlamentswebsite die Debatten quasi live mitlesen. Und jetzt gibt es die Video-Direktübertragung unter www.parlament.ch/d/sessionen/webtvlive/Seiten/default.aspx: Jedermann kann von zu Hause aus auf seinem PC die Debatten des Nationalrates oder des Ständerates live mitverfolgen, natürlich nur, wenn das Parlament gerade tagt. Dies ist eine grosse Errungenschaft, denn so viel Öffentlichkeit war noch nie.
Allerdings ist die Schweiz nicht das einzige Land, das den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, die Debatten des Parlamentes von zu Hause aus live zu verfolgen. Es gibt diese Möglichkeit auch für den Deutschen Bundestag, für die französische Nationalversammlung, für die italienische Deputiertenkammer, für die belgische Kammer, für das britische Unterhaus, für das amerikanische Repräsentantenhaus, für das dänische Folketing, für das norwegische Storting oder für den schwedischen Reichstag. Aber die Schweiz ist vorne mit dabei. Und das ist im Interesse aufgeklärter Bürgerinnen und Bürger in der direkten Demokratie erfreulich.