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Sonntag
29.10.2006

Die eigentlichen «Vordenker der Informationsgesellschaft», wie das Bakom vorab in einer Medienmitteilung titelte, kamen bei den 5. Bieler Kommunikationstagen erst ganz zum Schluss - aber immerhin. Michael Bletsas, von «One Laptop per Child» und früherer Direktor am berühmten Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) erläuterte sein anspruchsvolles Projekt, jedem Kind in Ländern der Dritten Welt einst einen eigenen Laptop zur Verfügung zu stellen. Die Idee war bereits vor einem Jahr beim Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS05) in Tunis lanciert worden. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Vorhabens sind seitdem kaum geringer geworden und stellen die Entwickler weiterhin vor enorme Herausforderungen.

Vorab sei die Frage des Preises zu lösen, denn dieser «Laptop für jedes Kind» darf nicht mehr als 100 Dollar kosten, so einer der Hauptansprüche des Projektes. Bei einem herkömmlichen Taschencomputer setzen sich die Kosten aus drei wesentlichen Faktoren zusammen: 50 Prozent für Marketing und Distribution sowie jeweils 25 Prozent für Display und Software. Der MIT-Chefentwickler führte aus, an welchen Komponenten erhebliche Einsparungen möglich seien. Beim Display, das in Ländern des Südens mit viel Sonnenlicht andere Anforderungen erfüllen müsse, brauche es beispielsweise keine Hintergrundbeleuchtung. Ein weiterer Problemfaktor, so Bletsas, sei die Stromversorgung, die in der südlichen Hemisphäre eben nicht einfach über eine Steckdose mit Anschlusskabel funktioniere. Dazu ist nach Auffassung des Projektleiters erstmal der Stromverbrauch des Laptops auf ein Minimum zu reduzieren. Die für den Basisbetrieb nötige Energie könne dann über eine Fusskordel, die der Nutzer beim Gebrauch wie ein JoJo betätigt, erzeugt werden. Für die Systemsoftware ist eine freie Linux-Entwicklung vorgesehen. Auf die Frage der Moderatorin, ob Kinder in der Dritten Welt nicht wesentlich wichtigere Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser- oder Gesundheitsversorgung etc. hätten, antwortete Bletsas, dass Zugang und Nutzung von ICT inzwischen zu den «komplementären Grundbedürfnissen» zählen, ohne die der digitale Graben nicht zu überwinden sei.

Für Hans-Ulrich Maerki, Vorsitzender von IBM-Europa/Nahost/Afrika, ist es «weniger wichtig, was wir erfinden, sondern was wir mit Erfindungen machen». Maerki, der bei IBM seit Jahrzehnten bereits zu den Vordenkern gehört, gab einen zeitgeschichtlichen Überblick über technologische Entwicklungssprünge. Zur Palette von wichtigen Erfindungen gehören die Spracherkennung (1971), das «Copper Interconnect Wiring» (1997) wie die fortschreitende Miniaturisierung der Chip-Entwicklung. Als eines der jüngsten Beispiele nannte Maerki einen «Cell-Processor» oder «Supercomputer auf einem Chip», der in Zusammenarbeit mit Sony und Toshiba entwickelt wurde. Kennzeichnend für die technologische Entwicklung ist für den IBM-Manager, «dass sich der Rhythmus von Erfindungen in den letzten Jahren enorm verkürzt hat». Für Maerki «kommt es jedoch nicht so sehr auf die nächste neue Erfindung an, sondern auf Innovation und Umsetzung von Ideen, Produkten oder neuen Dienstleistungen». «Umsetzung» und «Applikation» seien heute ganz entscheidende Faktoren.

Wenn Metropolen wie London oder Stockholm heute über ausgeklügelte Verkehrserfassungs- und Gebührensysteme (Congestion Charging) verfügen, seien das «Modellbeispiele solch wichtiger Innovationen auch für die Gesellschaft». Der IBM-Senior berichtete auch über Veränderungen in der Betriebskultur: «Wo es für IBM-Ingenieure und Entwickler früher ein striktes Kontaktverbot mit Kollegen von der Konkurrenz gab, gelten auch hier heute neue Massstäbe», so Maerki. Zur veränderten Innovationskultur, die in den letzten Jahren nicht nur bei IBM Einzug hielt, gehören Eigenschaften wie «offen, kollaborativ, mutli-disziplinär und global». Anders, ist der IBM-Manager überzeugt, «lassen sich massgebliche Innovationen unter den veränderten Gegebenheiten nicht mehr realisieren».

Auch Hans-Jörg Bullinger, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft in München, sprach über die enorme Dynamik technologischer Sprünge in den letzten Jahren. Er verwies auf die ersten PCs mit grafischer Oberfläche (Mac), von denen es 1980 weltweit gerade mal 20 Millionen Exemplare gab - heute seien schätzungsweise 900 Mio. Computer weltweit im Einsatz. «Die Entwicklung von alter zu neuer Technik ist nicht mehr von einzelnen genialen Entdeckern geprägt», sondern unterliege anderen Voraussetzungen. «Innovationen sind bei der heutigen Komplexität nur noch über internationale Arbeitsteilung und in Teams möglich», erläuterte der Technologiemanager anhand zahlreicher Beispiele.

Neben Investitionen in Forschung und Entwicklung sind für Bullinger «Struktur- und Prozessinovation» sowie «Innovationen in Gesellschaft und Politik» gleichermassen entscheidend und müssen sich ergänzen. Bei der Innovation als Wettbewerbsfaktor stehen inzwischen, gemäss einer Studie von Arthur D. Little (2004), «nicht mehr Kostensenkungen im Vordergrund, sondern die Steigerung der Innovationsfähigkeit», so der Fraunhofer-Chef. Als Rahmenbedingungen nannte er «besser, schneller und eben innovativer». Als besondere Herausforderung verwies Bullinger auf die «Bewältigung der Informationsexplosion», denn «IT-Trends treiben Datenproduktion und Informationsflut ins Unermessliche». Allein in den Jahren zwischen 2000 und 2002 wurden «mehr Daten erzeugt als in den vorangegangenen 40 000 Jahren». Und «zwischen 2003 und 2005 hätten sich die Datenmengen noch einmal vervierfacht», führte er weiter aus. Bullinger konstatierte «Daten im Überfluss - und kein Ende in Sicht». Das steigende Datenvolumen stelle Innovationsmanagement immer wieder vor neue Herausforderungen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Informations- und Wissensgesellschaft liegt nach Meinung des verstorbenen Kommunikationswissenschaftlers Peter Glotz in der «Veredelung» des Rohstoffs - zumindest in diesem Punkt hat sich seit der gemächlicheren Industriegesellschaft wenig geändert.