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Mittwoch
28.12.2011

Friedrich Glauser mäandert durch die Schweizer Literaturgeschichte wie ein Geist, der auf die literarische Figur Wachtmeister Studer reduzierter wurde. Der Zuger Filmer Christoph Kühn hat den unangepassten Schriftsteller aus der Klischeecke geholt und einen spannenden Dokumentarfilm geschaffen: «Glauser. Das bewegte Leben des grossen Schriftstellers». Rolf Breiner, Filmexperte des Klein Reports, traf den Filmer.

Erinnern Sie sich? Ein brummiger kantiger Kommissar, pardon Wachtmeister, mit der obligaten Brissago im Mundwinkel. Er heisst Studer, ermittelt gegen einen Inhaftierten, der einen Selbstmordversuch unternimmt, und rettet den Verdächtigen. Er vertraut seinem Instinkt, seiner Intuition. Der Berner Studer wurde zum klassischen Ermittler in der Schweizer Literaturgeschichte, mehrfach verfilmt (Filme wie «Der Chinese», «Matto regiert» oder eben «Wachtmeister Studer» werden im Zürcher Filmpodium wiederaufgeführt).

Wer war dieser Glauser, der Figuren mit Menschenverstand und Menschenverständnis erfand in jenen umtriebigen Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts? In Wien geboren, in der Schweiz fast heimisch geworden, blieb Friedrich Glauser ein Umhergetriebener, ein Unangepasster und Flüchtender. Ein Junkie - bedingt durch medizinische Behandlung mit Morphium - würde man heute sagen.

Glauser floh vor dem Vater, vor der Bürgerlichkeit, suchte die Flucht in Drogen. Er verzweifelte an Versuchen, ein guter Bürger zu sein, sein Leben und seine Heimat zu finden. In der Pflegerin Berthe Bendel fand er Rückhalt, sah eine verständige Gefährtin. Er wollte sie heiraten, reiste 1938 mit Berthe nach Nervi bei Genua, brach am Abend vor der Hochzeit zusammen und starb zwei Tage später - im Alter von 42 Jahren.

Eine Zelle in der Psychiatrischen Anstalt Münsingen 1934 und die finale Reise 1938 nach Nervi bilden die Klammer in der Filmdokumentation «Glauser» des Zuger Filmers Christoph Kühn  («FRS - das Kino der Nation»). Ihn interessierte bei seiner Spurensuche und Entdeckungsreise weniger das literarische Werk Glausers als mehr der Mensch, der «verwundete Gejagte», der an sich selber scheiterte.

Von Glauser existieren keine bewegten Bilder (nur Fotos), nur schriftliche Zeugnisse. Und so kombinierte Kühn verschiedene Stilmittel - Spielszenen mit Mutter und Kind, ein Fernsehinterview mit Berthe Bendel aus dem Jahr 1985, Aufnahmen von Originalplätzen und Aussagen von Glauser-Kennern. So etwa Aussagen des Biografen Frank Göhre, des Kritikers Hardy Ruoss, der die erste Doktorarbeit über Glauser verfasst hatte, des Psychologen Max Müller, dessen Vater Glauser behandelt hatte, oder des Schriftstellers Hansjörg Schneider.

Markante visuelle Zeichen setzen im Film die Comicbilder von Hannes Binder, der verschiedene Bücher in Comicform herausbrachte. Der Zürcher Zeichner schuf eine ganze Glauser-Kollektion, die aber vergriffen ist. Der Comicband «Glauser. Sieben gezeichnete Geschichten» soll 2012 im Limmat Verlag erscheinen.

Der Ort fürs Interview mit Christoph Kühn war nicht zufällig von Nadine Adler (Filmcoopi) gewählt worden, das Cabaret Voltaire in der Zürcher Altstadt. Hier hatte der Dadaismus eine Bühne und hier trat auch Dada-Anhänger Glauser einmal auf.

Was hat den Filmer Kühn an diesem Autor fasziniert? «Durch diese Arbeit habe ich einen Menschen kennengelernt, der mich getroffen hat, und zwar einen, der ein Gejagter war - auf der Flucht vor sich selber», so Kühn gegenüber dem Klein Report. «Dieses Bild hat mich fasziniert, dass hinter diesen doch etwas biederen Schweizer Kriminalromanen eine derart faszinierende Figur steckt, an der nichts bieder ist.» Bücher wie «Matto regiert» oder «Der Chinese», mit Heinrich Gretler und Hans Heinz Moser verfilmt, seien bekannt, doch der Mensch Glauser blieb für viele unbekannt, meint Kühn, der seinen Film auf den Texten des Schriftstellers, seinen Briefen und einer unvollendeten Biografie aufbaut.

Die Romane bleiben peripher, spielen nur eine beiläufige Rolle: Christoph Kühn: «Mein Fokus war der Mensch Glauser. Man erlebt im Film, dass er schreiben muss, um herauszukommen. In der Psychiatrie Münsingen erfand Glauser die Figur des Wachtmeister Studer, schrieb 1934/35 den ersten Roman, hatte Erfolg und kam raus. Das Schreiben war eine Brücke zu der Welt, aus der er kam.»

Was hat Kühn bei der Glauser-Recherche entdeckt? «Vom Literarischen her habe ich nebst Robert Walser den wichtigsten Autor deutscher Sprache in der Zwischenkriegszeit kennengelernt», so Kühn zum Klein Report.

Wiederholt werden szenische Rückblenden als Stilmittel eingesetzt. Mit welcher Absicht? «Mit diesen Rückblenden, diesen Erinnerungen an Wien, seine Heimatstadt, komme ich an die Wurzeln seines Übels, seines Getriebenseins - sein Elternhaus, sein Vater», erklärt Kühn. Und die Comicbilder Binders? «Wir hatten einen gewissen Bildernotstand. Die Zeichnungen von Hannes Binder sind nie nur Illustrierungen, sondern Interpretationen vom Geiste Glausers. Sie zeigen seine Obsessionen. Ich glaube, ich konnte so mit den Rückblenden und Zeichnungen einen Menschen emotional rüberbringen.»

Der Dokumentarfilm «Glauser» startet am 5. Januar in den Schweizer Kinos. Parallel dazu zeigt das Filmpodium Zürich Verfilmungen der Glauser-Romane: «Matto regiert» (1947), «Wachtmeister Studer» (1939) und «Der Chinese» (1979) ab dem 15. Januar 2012.