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Donnerstag
19.08.2004

Ein Chefredaktor darf vor Gericht die Richtigkeit eines Artikels beweisen, auch wenn er selbst nicht dessen Verfasser ist. Dies entschied das Bundesgericht, das sich mit einer Beschwerde der Tessiner Zeitschrift «L`Inchiesta» befasste. Diese hatte in den Jahren 2000 und 2001 drei umstrittene Artikel zu den Themen «Freimaurerlogen und ihre geheimen Machenschaften», «Mobbing und Begünstigung bei der Tessiner Kantonspolizei» und «Die Bereitschaft der Tessiner Anwälte zur Geldwäscherei» publiziert. Diese Artikel brachten der Zeitschrift vier Klagen wegen übler Nachrede ein, darunter eine von Luganos Stadtpräsident Giorgio Giudici. Matteo Cheda, der Chefredaktor der «Inchiesta», verriet anschliessend weder dem Staatsanwalt noch dem Untersuchungsrichter den Namen des Verfassers der umstrittenen Artikel.

Vor dem Tessiner Appellationsgericht wollte Cheda dann beweisen, dass die Berichte der «Inchiesta» der Wahrheit entsprachen. Zu diesem Zweck schlug er die Befragung von vierzehn Zeugen vor. Denn wenn ein Journalist beweisen kann, dass seine Anschuldigungen gegen eine öffentliche Person der Wahrheit entsprechen, geht er straffrei aus. Das Appellationsgericht lehnte Chedas Antrag jedoch ab. Da er nicht der Autor des Artikels sei, sei er nicht legitimiert, den Wahrheitsbeweis anzutreten, lautete die Begründung. Cheda liess diesen Einwand nicht gelten und zog den Fall vors Bundesgericht weiter, das ihm nun Recht gab. Das Bundesgericht ist der Meinung, dass ein Chefredaktor einen Angestellten schützen darf und den Wahrheitsbeweis selbst übernehmen kann. Es forderte die Tessiner Justiz auf, die Verfahren wegen angeblicher Verleumdung neu aufzurollen. - Mehr dazu: Verleger von «L`Inchiesta» gegen Stadtrat von Lugano