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Sonntag
03.06.2007

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat sich beim Schweizer Fernsehen über den «Dok»-Film, der sich mit der Neat befasst, per Brief beklagt, wie die «NZZ am Sonntag» schreibt. Es seien mehrere inhaltliche und sachliche Ungenauigkeiten, monierte BAV-Sprecher Gregor Saladin am Sonntag gegenüber der SDA. So sei es nicht korrekt, dass sich die Gesamtkosten der Neat auf 32 Milliarden Franken belaufen würden, wie in dem Film erwähnt sei. Unkorrekt sei die Behauptung, ein Wasserschaden in Sedrun habe zu einer Verzögerung des Baus geführt. Tatsache sei, dass ein Vorsprung von einem Vierteljahr bestehe, so Saladin.

Das Bundesamt kritisierte weiter, dass Italiens Bahnchef Mauro Moretti als «Kronzeuge» des Südanschlusses präsentiert wurde. Moretti sei weder Verkehrs- noch Infrastrukturminister. Es seien aber die Ministerien, die Entscheidungen träfen und Projekte finanzierten. Selbstverständlich könne man kritisch sein gegenüber dem Neat-Projekt, er habe jedoch den Eindruck, dass in dem Beitrag Tatsachen ausgeblendet wurden, wenn sie nicht in die Thesen passten, die im Film ausgebreitet werden sollten. So sei auch von einem einstündigen Interview mit BAV-Chef Max Friedli im Film nichts gezeigt worden.

Verkehrsminister Moritz Leuenberger intervenierte wegen der Kritik Morettis bei der italienischen Regierung. Die italienischen Staatsbahnen sprachen von einem Missverständnis. Moretti habe sich nie für die Bevorzugung der Lötschbergachse ausgesprochen. Seine Äusserungen in dem «Dok»-Film seien einem längeren Interview entnommen und so zusammengeschnitten worden, dass ein falscher Eindruck entstanden sei. Die Bevorzugung der Lötschbergachse habe Moretti lediglich als «theoretische Option» erwähnt.

Der Autor des «Dok»-Films, Hansjürg Zumstein, beantwortete im Vorfeld der Publikation in der «NZZ am Sonntag» deren Fragen (auszugsweise) folgendermassen: «Die Aussagen von Herrn Moretti sind richtig wiedergegeben. Herr Moretti hat sich nicht zum ersten Mal zur Frage Gotthard/Lötschberg ausgesprochen.» Das Interview habe im Beisein «einer Vertreterin der Schweizer Botschaft» stattgefunden. Sie machte den «Interviewer schon im Voraus darauf aufmerksam, dass Moretti massiv den Gotthard kritisieren wird», so Zumstein. Dies habe sie bereits mehrmals nach Bern rapportiert, dort seien ihre Berichte aber auf taube Ohren gestossen.

Moretti, Generaldirektor der FS, habe von sich aus begonnen, den Lötschberg als eine Möglichkeit zu erwähnen. Der Autor: «Auf die Frage: `Die Idee der Schweiz ist, dass 60 Prozent der Güter nach Chiasso transportiert werden sollen. Was ist Ihre Meinung dazu?`, antwortete Moretti unter anderem: `Es ist eine Möglichkeit, es gibt ja unendlich viele Möglichkeiten. Man könnte sich theoretisch auch vorstellen, die Achse Lötschberg zu vervollständigen. Von Basel Lötschberg - Simplon? Novara? Genova, wird einfach um diesen Teil vervollständigt. Man muss einfach entscheiden, es sind diese zwei Möglichkeiten, man muss einfach Prioritäten setzen.»

Moretti habe sich bereits am 26./27. Oktober 2006, anlässlich einer Tagung organisiert von der Schweizer Botschaft Rom in Genua, für den Lötschberg ausgesprochen. «Der damals anwesende Hupac-Direktor Bernhard Kunz bestätigte dem Schweizer Fernsehen am 30.1. 2007 schriftlich: `Für ihn (Moretti) hat die Lötschberg-Achse mit Novara als Umschlagplattform Priorität.`»

An der Hupac-Medienkonferenz in Zürich vom 9. Mai referierte der Hupac-Verwaltungsratspräsident über die Zukunft des Bahnverkehrs. Verwaltungsratspräsident Hans-Jörg Bertschi erklärte damals: «Italien will den Lötschberg, wir hingegen wollen den Gotthard», zitiert ihn Zumstein in seinen Aussagen.

Im Anschluss an die Pressekonferenz interviewte SF Bernhard Kunz. Er sei von Mauro Moretti direkt in Rom über die neue Strategie informiert worden: «Er sieht natürlich Vorteile in der Achse Lötschberg, weil er so den Knotenpunkt Mailand nicht durchfährt, während via Chiasso Mailand in der Nähe ist, was neue Umfahrungsgeleise nötig machen würde. Das löst natürlich grosse Kosten aus. Ich glaube, hier ist das noch ein Verhandlungspoker. Es gibt zwei verschiedene Konzepte, und die sind zwischen Italien und der Schweiz nicht deckungsgleich.»

Zu den Kosten schreibt der «Dok»-Autor: «In der Gesamtrechnung des BAV sind die Kosten der Zufahrtsstrecken Richtung Italien nicht enthalten. Ohne diese Zufahrtsstrecken macht jedoch der Gotthard-Basistunnel wenig Sinn.» Diesen Tatbestand würde auch die Neat-Aufsichtsdelegation in ihrem neusten Bericht (S. 126) beklagen, so Zumstein. Auch seien in den Kostenberechnungen des BAV «die Bevorschussungszinsen nicht enthalten». Diese müssten aber ebenfalls durch den Finöv-Fonds bezahlt werden. «Zu den vom BAV prognostizierten 24 Milliarden Franken sind deshalb noch diese Zusatzkosten von rund 12 Milliarden Franken zu addieren.»

Die Aussagen bezüglich Bauverzögerungen stützten sich «hauptsächlich auf die Berichte der Neat-Aufsichtsdelegation». Nach der Volksabstimmung 1998 sei mit der Alptransit eine Leistungsvereinbarung unterzeichnet worden mit dem Inhalt, «eine Eröffnung sei auf 2011 vorgesehen». Heute werde 2018 als realistisch erachtet. «Die Neat-Aufsichtsdelegation spricht von `grosser Terminverzögerung`», so Zumstein.

Zum Interview mit BAV-Chef Max Friedli heisst es: «Da seine Aussagen praktisch identisch waren mit den Aussagen von Bundesrat Leuenberger, hat sich das Schweizer Fernsehen entschlossen, einzig diejenigen von Bundesrat Leuenberger auszustrahlen.» Gemäss Hansjürg Zumstein korrespondierten Friedlis Aussagen auch mit den Aussagen von Alptransit-Präsident Peter Testoni.