Zwischen den bunten Plattenhüllen in den Regalen werden sie ungewohnt durchsichtig schimmern: Wenn die neuen CDs der Berliner Band 2raumwohnung an diesem Montag in die Läden kommen, ist darunter auch eine Billigvariante - ganz ohne Cover für 9.99 Euro. Daneben liegen normale Versionen für 12.99 Euro und Luxusausgaben mit extra dickem Beiheft für 16.99 Euro wie der Klein Report bereits berichtete. Mit einem neuen Drei-Klassen-Angebot will die Bertelsmann-Musiksparte BMG den Absatz ankurbeln und in Zeiten massenhafter CD-Kopien zahlende Kunden zurückgewinnen. Die Konkurrenz beobachtet es zurückhaltend.
Mit dem zunächst auf ein halbes Jahr angesetzten Test will BMG den unterschiedlichen Kundenwünschen entgegenkommen. «In der Autoindustrie gibt es ja auch für jeden Geldbeutel etwas - vom Kleinwagen bis zur Luxuskarosse», sagt der Chef der Sparte Rock und HipHop, Wolfgang Funk. Die Musikwirtschaft habe dies aber in den vergangenen Jahren wie kaum eine Branche vernachlässigt. Während echte Fans durchaus bereit seien, für Mehrwert wie Songbooks oder spezielle Internetangebote etwas tiefer in die Tasche zu greifen, reiche anderen vielleicht die Standardversion. Und wer eine Band nur vom Hörensagen kennt, gehe mit einer Billig-CD kaum ein Risiko ein.
Die Konkurrenz verfolgt das Experiment abwartend, aber gespannt. Mitziehen wollen vorerst jedoch weder der neue BMG-Partner Sony noch Marktführer Universal. Der Branchenprimus selbst hatte im vergangenen Jahr bereits in den USA die CD-Preise gesenkt. Eine kräftige Belebung blieb jedoch aus. BMG-Spartenchef Funk ist dennoch überzeugt, dass auch andere Grosse über kurz oder lang auf den Zug aufspringen werden, wenn sich das Modell erfolgreich entwickelt: «Ich glaube, dass es einen Schneeball-Effekt geben wird.»
Dass die Offensive sich letztlich nur rechnet, wenn sie den Absatz kräftig anheizt, ist allerdings auch den Managern bei BMG klar. Damit sich der günstigere CD-Preis trage, müssten mindestens 30% mehr verkauft werden, sagte der Leiter Business Operations, Rolf Gilbert, kürzlich dem «Spiegel». Vor allem in den Regalen der grossen Elektro-Ketten dürfte sich daher der Erfolg der Drei-Klassen-Idee erweisen, die BMG auch für andere Genres testen will - mit den neuen CDs von Guano Apes, Roger Whittaker, Wolfgang Petry und Within Temptation.
Kleinere Händler sehen die Entwicklung indes auch mit Sorge. Wenn Billig-CDs Schule machten, könnte das die Gewinnspannen noch einmal drücken und Läden in Bedrängnis bringen, sagt Michael Huchthausen, Präsident des Gesamtverbands Deutscher Musikfachgeschäfte. Schon jetzt blieben von einer CD für 14.99 Euro meist nur 1 bis 2 Euro für die Händler. «Dabei sind es die Verkäufer, die den Kunden die neuen CDs erklären müssen.» Generell gehe es aber in die richtige Richtung, den Kunden beim Preis entgegenzukommen.
Der Branche insgesamt würde ein Impuls nach mehreren Jahren mit drastischen Absatzverlusten in jedem Fall recht kommen. Zwar konnten die Einbussen gerade zum ersten Mal spürbar gebremst werden: Im ersten Halbjahr wurden 55,1 Millionen CDs verkauft und damit nur noch 1,4% weniger als ein Jahr zuvor. Die ersehnte Trendwende sei aber erst 2005 oder 2006 zu erwarten, sagt Gerd Gebhardt, Vorsitzender der Phonoverbände. «Wenn man fast die Hälfte seines Marktes verloren hat, ist ein Stillstand noch nicht das Ende der Krise.»
Sonntag
29.08.2004