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Samstag
16.09.2023

Medien / Publizistik

Ein systematisches sprachliches Update hat der Bundesrat von der To-do-Liste gecancelt. (Bild admin.ch)

Ein systematisches sprachliches Update hat der Bundesrat von der To-do-Liste gecancelt. (Bild admin.ch)

Die Landesregierung will bei künftigen Revisionen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) kritisierte Formulierungen «prüfen». «Wenn sinnvoll und möglich» will er ein alternatives Wording vorschlagen, wie aus einem Bericht hervorgeht, den er am Freitag verabschiedet hat.

Das klingt furchtbar progressiv, wie man heute sagt, ist es aber keineswegs. Denn ein flächendeckendes sprachliches Update hat der Bundesrat von der To-do-Liste gecancelt.

Dabei ist die Kritik an der IV-Terminologie, wie sie unter anderem Behindertenorganisationen erheben, schon seit Jahren bekannt. Als herabsetzend aufgefasst werden je nach Sprache zum Beispiel die Ausdrücke «Invalidität», «Hilflosigkeit», «Behinderter», «Gebrechen» und «Missbildung».

«Der Bundesrat anerkennt zwar die Kritik an einzelnen Ausdrücken im IVG und erachtet gerade die Vorbehalte gegenüber Bezeichnungen, die von Betroffenen als herabsetzend und veraltet wahrgenommen werden, für nachvollziehbar», heisst es in dem Bericht weiter.

Ein separates Gesetzgebungsprojekt zur Anpassung aller erwähnten Ausdrücke im IVG lehne er jedoch ab, «weil der Aufwand für die Konzeption, Durchführung und Umsetzung eines Rechtsetzungsvorhabens, das ausschliesslich formale Änderungen umfasst, zu gross wäre.»

Denn: Gute Ersatzausdrücke zu finden, sei sehr anspruchsvoll. Denn die neuen Ausdrücke müssten sich in die Begriffssystematik mehrerer Bereiche des schweizerischen Rechts einfügen lassen. Und sie dürften nicht zu Verwechslungen führen, sie müssten einfach verständlich sein und das in drei Landessprachen parallel.

Der Rattenschwanz, den eine Wortänderung hinter sich herschleppen kann, spielt der Bundesrat in seinem Bericht am Beispiel der «Kinderrente» durch. Dieser Ausdruck kann missverständlich sein, weil diese Rente an IV-rentenbeziehende Erwachsene mit Kindern geht.

«Eine Änderung, die den Begriff ‚Rente‘ ersetzt, kann an anderen Stellen des Erlasses Probleme verursachen», heisst es im Bericht dazu.

Und weiter: «Wenn nun zum Beispiel in Artikel 40 IVG ‚Rente‘ durch ‚Zulage‘ ersetzt wird, wirkt sich dies nicht nur auf die Sachüberschrift (‚Höhe der Renten‘) aus (Sachüberschrift deckt ‚Zulagen‘ nicht ab), sondern würde auch in Absatz 2 (der die Höhe der ausserordentlichen Kinderrente regelt) die heutige Systematik in Frage stellen (zum Beispiel was den Zusammenhang zwischen Abs. 1 und 2 betrifft). Ähnliche Probleme stellen sich bei Artikel 37 bis AHVG, der das Zusammentreffen von Waisen- und Kinderrente regelt. Insbesondere diese beiden Bestimmungen, aber auch zum Beispiel Artikel 43 AHVG, müssten systematisch grundsätzlich neu überdacht werden.»

Kommt hinzu: «‚Zulage‘ (‚allocation‘) wird im Bereich der Sozialversicherungen bereits verwendet, nämlich im [...) FamZG, in dem die ‚Familienzulagen‘ (‚allocations familiales‘, 'assegni familiari‘) geregelt werden, die sich aus der Kinderzulage (‚allocation pour enfant‘, ‚assegno per i figli‘) sowie der Ausbildungszulage (‚allocation de formation professionnelle‘, ‚assegno di formazione‘) zusammensetzen (Art. 3 FamZG). Entsprechend besteht die Gefahr, dass eine weitere Art von Zulage (‚allocation‘) mehr Verwirrung stiften als klären würde...» Und so weiter und so fort.

Vor diesem Rattenschwanz hat der Bundesrat nun kapituliert. Was er vorschlägt, ist schlicht und einfach und recht günstig zu haben: Wenn bei künftigen IV-Revisionen Paragraphen zur Diskussion stehen, die heikle Ausdrücke enthalten, so sollen diese nochmals «vertieft geprüft» werden. 

«Ist es sinnvoll und möglich, so wird ein adäquater Ersatzausdruck vorgeschlagen», verspricht die Landesregierung.