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Samstag
13.12.2008

Hierzulande würde ein TV-Unterhaltungschef, der zur besten Sendezeit einen Lyrik-Wettbewerb ins Programm nehmen will, für verrückt erklärt. Auf der arabischen Halbinsel aber ist «Dichter für Millionen» ein Quotenrenner. Dort, wo es vor 100 Jahren noch nicht allzu viele Menschen gab, die überhaupt lesen und schreiben konnten, schalten sich bis zu 17 Millionen Menschen ein, um die Live-Show «Shair al-Million» von Abu Dhabi TV zu sehen. Die dritte Staffel hat an diesem Donnerstag begonnen. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Die «Dichter-für-Millionen-Show» funktioniert ähnlich wie «Deutschland sucht den Superstar» und ähnliche Formate, bei denen sich hoffnungsvolle Nachwuchskünstler dem Urteil einer Jury und des Publikums unterwerfen. Wer im Finale zum «Dichterprinzen» gewählt wird, geht mit einem Preisgeld von 5 Millionen Dirham (rund 1,6 Million Franken) nach Hause. Doch anders als die Nachwuchssänger, die mehr oder weniger stimmgewaltig Hits anderer Künstler vortragen, deklamieren die arabischen Dichter nur ihre eigenen Verse.

Hier ätzt kein Dieter Bohlen. Hier geht es arabisch-höflich zu. «Ich habe nur eine kleine Anmerkung, wenn du erlaubst», sagt eines der Jury-Mitglieder. «Ja bitte, Gott möge dein Leben verlängern», antwortet der Dichter, der auf der Bühne in einem rot-goldenen Sessel sitzt. Es folgt eine Werbepause, in der preiswerte Handy-Tarife und ein Kamel-Festival angepriesen werden. Dann blicken die Männer und Frauen, die im Theatersaal getrennt sitzen, wieder auf die Bühne, wo an diesem Abend noch sechs weitere Lyriker ihre Werke präsentieren. Zu ihnen gehört ein Jemenit, der gemäss der Tradition seiner Heimat, einen Krummdolch im Gürtel trägt.

Was «Dichter für Millionen» so erfolgreich macht, ist nicht die Blossstellung untalentierter Künstler. Es ist auch nicht nur der spannende Auswahlprozess, an dem sich per Handy die Fernsehzuschauer in den arabischen Staaten beteiligen können. Die Sendung ist ein Zeichen für die Emanzipation der Golf-Araber. Denn die traditionelle Nabati-Poesie der Beduinen und die Musik der Wüstenbewohner war für viele Intellektuelle in Kairo, Damaskus, Beirut oder Bagdad lange Zeit drittklassig. Das hat sich geändert, jetzt wo die Golf-Araber nicht nur Geld aus dem Öl-Geschäft haben, sondern auch Universitäten, Museen und Theater.