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Mittwoch
11.08.2004

Amerikas Reality-Hysterie kennt keine Grenzen: Nachdem diverse «Fear-Factor»-Kandidaten nunmehr im vierten Jahr Pferdehoden essen müssen und Promis wie Paris Hilton in «The Simple Life» Kuhställe ausmisten, ist nun ein weiteres Tabu gefallen - der Einfall der TV-Leute in einer Religionsgemeinschaft. In der Reihe «Amish in the City» wird auf dem Viacom-Network UPN derzeit eine Gruppe Jugendlicher der Religionsgemeinschaft der Amischen mit der Kamera begleitet.

Die Amischen wachsen in einer christlichen Tradition weitgehend in Dorfgemeinschaften in Pennsylvania auf, wo die Kinder von weltlichen Einflüssen wie Elektrizität, Fernsehen und Hightech-Spielzeug abgeschirmt werden. Im Teenager-Alter haben sie jedoch die Gelegenheit, das Leben ausserhalb ihrer abgeschiedenen Gemeinschaft kennen zu lernen, um danach entscheiden zu können, ob sie ihr Dorf verlassen wollen oder nicht - ein Brauch mit dem ans Bayerische erinnernden Namen «Rumspringa». Das wollte sich das Fernsehen nicht entgehen lassen und schickte fünf junge Amische nach Los Angeles, wo sie mit sechs City Kids zusammenleben.

Das Projekt stiess von Anfang an auf Widerstand. «Unsere Religion ist uns wertvoll und heilig», schrieb ein Community-Führer der Amischen in einem Brief an UPN. «Wir sind sehr besorgt und wenden uns dagegen, dass die Amischen zum Gegenstand einer Fernsehsendung gemacht werden. Wir wollen in Frieden leben und schätzen die ungewollte Publicity nicht.» Ein republikanischer Kongressabgeordneter protestierte gegen das Projekt, doch Senderchef Leslie Moonves gab zu Protokoll: «Ich möchte nicht von einem Kongressabgeordneten beurteilt werden, bevor die Show überhaupt gezeigt wird.»

Doch «Amish in the City» hat die Kritiker kalt erwischt. Denn nicht die ahnungslosen Dörfler werden hier als durchgeknallt dargestellt, sondern die City Slickers aus Hollywood. Sie wirken oberflächlich, verwöhnt, ungehobelt und alles in allem hohl im Kopf gegenüber den häufig besonneneren Amischen. «Die Produzenten haben die übliche Werteskala auf den Kopf gestellt, um sich vor dem Vorwurf, die Amischen auszunutzen, zu schützen», kommentiert die «Washington Post». «Kein Wunder, dass das Wort Hollywood heutzutage stellvertretend für elitäre Dekadenz steht».

UPN durfte sich nicht nur über die positiven Kritiken, sondern auch über die Quoten freuen: Das Network, in der Regel nicht gerade an der Spitze der Ratings-Skala, lag vor den üblichen Gewinnern, NBC, CBS und ABC. Lediglich «Simple Life 2» mit Hotelerbin Paris Hilton auf Fox hatte mehr Zuschauer. Besonders viele schalteten sich aus Pennsylvania zu.