Fast zwei Jahre musste die Öffentlichkeit warten, bis sich Ruzickas Nachfolger und heutiger CEO Central and Eastern Europe bei Aegis Media, Andreas Bölte, zu Vorgängen in der Europazentrale der Mediaagentur äusserte. Seit den Hausdurchsuchungen im September 2006 hatte Bölte zum Sachverhalt und zu seiner eigenen Rolle dabei nicht Stellung nehmen wollen. Am Montag stellte er sich in der hitzigen Atmosphäre des Landgerichts Wiesbaden fast sieben Stunden den Fragen des Vorsitzenden Richters Jürgen Bonk, des Staatsanwalts und der Verteidigung. Für den Klein Report berichtet Michael Ziesmann aus dem Landgericht Wiesbaden:
Aleksander Ruzicka sass während Böltes Ausführungen keine zwei Meter von seinem Nachfolger auf der Anklagebank. Während Ruzicka Bölte im Zeugenstand äusserlich emotionslos taxierte, würdigte ihn Bölte kaum eines direkten Blickes. Ruzicka verdankt Bölte bis jetzt fast 22 Monate U-Haft und einen Prozess wegen schwerer Untreue im Ausmass von 51,2 Millionen Euro.
Andreas Bölte schilderte die Umstände, die zu den skurrilen Strafanzeigen gegen seinen damaligen Chef führten. Bereits Ende des Jahres 2004 sei ihm aufgefallen, dass mit dem Ausgabeverhalten seines Vorgesetzten Aleksander Ruzicka etwas nicht stimmen könne. Er habe zunächst intern recherchiert. Dabei sei er auf merkwürdige Buchungsvorgänge um die Barterfirma Emerson FF und ungewöhnlich hohe Rückvergütungen an die Werbeagentur ZHP gestossen. In weiterer Folge habe er mit einem Aegis-Anwalt zunächst die Wirtschaftsdetektei Control Risks mit Nachforschungen beauftragt. Danach habe er den Auftrag für eine Strafanzeige gegeben. Die Anzeige selbst will Andreas Bölte damals jedoch nicht gesehen haben.
Das Ausscheiden von Aleksander Ruzicka sei nie Thema oder Ziel gewesen. «Es hätte auch sein können, dass sich die Verdachtsmomente nicht bestätigen», sagte Andreas Bölte auf Nachfrage des Richters zu seinem Vorgehen. Er habe damals noch keine Beweise gehabt. Hätte er Ruzicka oder das Londoner Aegis-Headquarter darauf angesprochen, wäre er eher seinen Job los gewesen, als dass ihm jemand geglaubt hätte. Deshalb habe er das Londoner Aegis-Headquarter auch erst am Tag der Hausdurchsuchungen informiert. Dass der Prozess auf seinen Anzeigen basiert, will er dem Global-CEO von Aegis Media und damaligen Vorgesetzten von Ruzicka, Jerry Buhlmann, erst Ende 2007 mitgeteilt haben.
Andreas Bölte gab an, keine Kenntnis von den Rabattverhandlungen mit den Medien gehabt zu haben. «Bis zum Ausscheiden von Herrn Ruzicka hatte ich keine Kenntnis von Share Deal Commitments», so Bölte. Ruzicka habe ihm den Zugang zu diesen hochsensiblen Daten verwehrt. Warum er sich nicht die Übersichten der gesendeten Freispots von den Vermarktern habe geben lassen und diese mit den internen Daten abgeglichen habe, fragte Bonk. Dies funktioniere nur in der Theorie, antwortete Bölte.
Andreas Bölte bestätigte Presseberichte, wonach Ruzickas angebliche Scheinfirma Watson Communication & Services ein direktes Vertragsverhältnis mit Aegis Media gehabt hat. Watson hat für Aegis Media fünf bis sechs Kundenevents ausgerichtet. Dies habe in den Jahren 2004 bis 2006 einen Umfang von insgesamt 200 000 Euro gehabt. Er selbst habe an keinem dieser Events teilgenommen. Das angebliche Infobroking, womit Ruzickas vermeintliche Scheinfirma Camaco im Interesse von Aegis Media Informationen für Pitches und Medienverhandlungen beschafft haben will, sage ihm nichts. «Ich kann mir nichts darunter vorstellen» und «ich weiss auch nicht, was das für das Unternehmen bringen sollte», sagte Bölte. Mit einer weiteren Firma, die Ruzicka zugeordnet wird, namens Connexio, habe es Beratungsleistungen für Aegis Media in Südafrika gegeben.
Der Verteidigung von Aleksander Ruzicka ist es nicht gelungen, die Aussagen von Andreas Bölte in Zweifel zu ziehen. Sie konnte nichts vortragen, was die Angaben von Ruzicka bestätigen oder die von Bölte widerlegen konnte. Jedoch wurde Andreas Bölte nicht als Zeuge entlassen und kann demnach im laufenden Verfahren jederzeit erneut gehört werden. Andreas Bölte machte einen gut vorbereiteten Eindruck. Auch von kritischen Fragen des ebenso gut vorbereiteten Richters Jürgen Bonk liess er sich nicht aus der Ruhe bringen. Bölte gilt als Schlüsselfigur in diesem Prozess.
Dienstag
05.08.2008