Der öffentliche Abschied von Walter Roderer am Freitag dieser Woche war so filmreif wie einer seiner Kinohits und so perfekt inszeniert wie alles, was der grosse Volksschauspieler, Komiker und Unterhaltungsstar zeit seines Lebens geliefert hatte. Wenn es überhaupt eines Beweises bedurft hätte für Rodis Professionalität und Perfektion, dann lieferte er diesen mit der eigenen Gedenkfeier in der Kreuzkirche am Zürichberg, für welche er einen minutiösen Ablaufplan erstellt und den Nachruf persönlich verfasst hatte.
Es war eine Szene wie in einem Roderer-Film, als eine attraktive, blonde, langhaarige Pfarrerin, Katharina Hoby, die Kirche betrat, gefolgt von der noch attraktiveren jungen Witwe, Anina Stancu (31), das Gesicht hinter einem riesigen schwarzen Hut verborgen. Nur gerade 150 Personen, kaum Schauspieler, fanden den Weg an die Gedenkfeier, darunter ein gutes Drittel Presse und Angestellte von Roderers Manager Freddy Burger, der die Feier für seinen väterlichen Freund organisiert hatte: «Vor sechs Monaten hatte er mir bei einem Abendessen die Anweisungen für seine dereinstige Abschiedsfeier in die Hand gedrückt.»
Monatelang habe Rodi an seinem Lebenslauf gefeilt, verriet die Pfarrerin, immer wieder habe er ihn abgeändert. Verlesen wurde er von der Witwe, und er begann mit den Worten: «Meine lieben Freunde, ich weiss, dass ich von jetzt ab meinen Frieden geniessen darf, sozusagen meinen Ruhestand ...»
Schon als kleiner Bub, verriet Rodi jetzt erstmals, habe er in der Sonntagsschule nach dem Aufsagen eines Sprüchleins das erste Mal das Publikum gespürt und wollte von da an nur noch eines: Künstler werden, zuerst Kettensprenger und Entfesselungskünstler, später Schauspieler. «Das durfte ich im bürgerlichen St. Gallen aber niemandem sagen, und wenn einer wissen wollte, weshalb ich Sprechtechnikunterricht nähme, sagte ich halt, ich wolle Pfarrer werden.»
Viel Raum widmete Roderer in seinem Lebenslauf den harten ersten Jahren zwischen 1945 und 1955, wo nichts gehen wollte, er sich am Zürcher Schauspielhaus mit «einem Sätzlein in diesem oder jenem Stück» begnügen musste und Schulden hatte, 250 Franken: «Ich getraute mich am Sonntag nicht mehr auf die Strasse, in St. Gallen hatte man Sonntagsschuhe und ein Sonntagsgwändli, und meine Absätze waren abgeschiegget und mein Kittel an den Ärmeln ausgefranst.»
Und wenn ihn einer wie der legendäre Praesens-Boss Lazar Wechsler anrief, dann nicht für eine Filmrolle, sondern ob er den Samichlaus für seine Enkelkinder spielen würde: «Die Durststrecke dauerte zehn Jahre und manchmal kreisten Selbstmordgedanken in meinem Kopf herum.» Ab 1954 ging es aufwärts, er spielte gegen seine innere Überzeugung im Cabaret Fédéral, «aber ich war kein ausgesprochen politischer Mensch, ich wollte nicht missionieren, ich wollte unterhalten, mich interessierten die lustigen Figuren».
Kollege Schaggi Streuli, auch er ein Volksschauspieler aus Überzeugung, hatte Verständnis. Er schrieb für Roderer in eine Hörspielfolge seiner Radio-Hitserie «Oberstattgass» eine Rolle, den Kunsthonighändler Muggli, und Werner Wollenberger ebenso, der ihm die wöchentliche Radiosendung «Der Barbier von Seldwyla» auf den Leib schrieb. Die ganze grosse Karriere danach, die vielen Filme und die Tausenden von Bühnenaufführungen, resümierte Walter Roderer in seinem eigenen Nachruf in nur wenigen Sätzen.
Schauspielkollege Hansjörg Bahl erinnerte an 16 Jahre Zusammenarbeit auf der Bühne und für den Werbefilm: «Ich war ein junger Anfänger und er ein Star, doch abends, wenn der Vorhang fiel, sagte er: `Wege mir chömmed d`Fraue is Theater und mit dir gönd si hei ...`.» Für Bahl hat Roderer 92 Prozent von dem erreicht, was er im Leben anstrebte, nämlich 100 Jahre alt werden.