Der Presserat hat einen «20 minutes»-Journalisten gerügt, der sich auf einer Gay-Website als minderjährig ausgab, um einen bereits suspendierten Lehrer aktiv zu ködern.
Der Presserat erinnerte am Dienstag daran, dass eine verdeckte Recherche nur ausnahmsweise, unter strengen Voraussetzungen zulässig sei. Erforderlich sei ein den Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigendes, überwiegendes öffentliches Interesse an den Informationen, die sich zudem nicht auf andere Weise beschaffen lassen. Im vorliegenden Fall fehlte es nach Auffassung des Presserat nicht bloss an einem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Recherche. «20 minutes» hätte laut Presserat auch gestützt auf das Verhältnismässigkeitsprinzip auf die Veröffentlichung verzichten müssen, da der suspendierte Lehrer zum Zeitpunkt der Publikation seinen Rückzug aus der Politik bereits angekündigt hatte.
Damit nicht genug: «Der Bericht unterliess es, eine Passage aus dem Chat zu erwähnen, der die Vorwürfe relativiert hätte», tadelte der Presserat ebenfalls. «Ungerechtfertigt war es auch, den Namen des Ex-Lehrers/-Politikers in einem Kontext zu erwähnen, der nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Funktionen steht», heisst es in der Rüge des Presserats weiter.
Konkret hatte «20 minutes» Ende April 2011 über einen suspendierten Lehrer berichtet, der Mitglied des Genfer Stadtparlaments war. Laut dem Bericht hatte der Betroffene auf einer Gay-Website Avancen gegenüber einem vermeintlich 15-jährigen Jugendlichen gemacht. Hinter dem angeblichen Jugendlichen steckte indes ein verdeckt recherchierender Mitarbeiter von «20 minutes». Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war der Lehrer aufgrund eines gegen ihn laufenden Administrativverfahrens suspendiert. «20 minutes» illustrierte den Artikel mit einem Screenshot der Website, der einen Auszug auf dem geführten Chat und ein gepixeltes Foto des Lehrers und Lokalpolitikers zeigte.