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Mittwoch
08.11.2006

Bei der 8. Herzberg-Tagung des Vereins Qualität im Journalismus (VQJ) trafen sich am Dienstag in Zürich, wie alle Jahre wieder, Fachleute aus Journalismus, Medienkritik und -wissenschaft zum Meinungsaustausch über «Kritische Medien versus Medienkritik». Die diesjährige Tagung spannte einen weiten Bogen von Medienkritik über Kampagnen- und Thesenjournalismus, die Niederungen der Praxis, Selbstkontrolle, bis hin zu potenziellen Medienopfern. Bei seiner Einführung zum diesjährigen Thema nannte der Medienwissenschaftler Vinzenz Wyss die «reflexartigen Reaktionen auf Medienschelte», wie dies in der Praxis immer wieder passiert, «den Kampf des Journalismus um seine Emanzipierung von der Politik». Für den Klein Report verfolgte Wolf Ludwig die Debatte.

Bei der Eröffnung von Vinzenz Wyss wie auch bei weiteren Beiträgen ging es immer wieder um die alte Grundsatzfrage: «Wer instrumentalisiert in der Praxis wen? Die Medien die Politik oder vielmehr umgekehrt?» Im Spannungsverhältnis von Zuneigung, Zank und wechselseitiger Abhängigkeit sind die Rollen offenbar oftmals vertauscht, ganz wie im richtigen Leben oder eben wie bei Parasit und Muttertier. Wyss setzte sich kritisch mit flachen Selbstreflektionen einer «Weltwoche» auseinander, die da schrieb, «vom Journalismus könne eben nur Resonanz statt Relevanz erwartet werden». «Wer so was behauptet, spricht den Medien ihre Rolle in der Demokratie ab», so der Medienwissenschaftler weiter.

Um Funktion der Medien, journalistische Rollen, Selbstverständnis sowie Mittel und Wege zur Qualitätssicherung gings auch in dem Beitrag der Chefredaktorin der Berliner «Tageszeitung» (taz), Bascha Mika, «Ohne Kritik kein Journalismus». Und eingangs kams ganz dicke. Zum Missverhältnis von Selbst- und Fremdwahrnehmung von Journalisten sagte die taz-Frontfrau: «Wir sind beim Volk etwa so beliebt wie Offiziere, Politiker und Gewerkschaftsführer - das heisst, unsere Sympathiewerte tendieren gegen null.» Das Sozialprestige der Medienzunft «hat sich in den letzten zwölf Jahren fast halbiert», beklagte Mika mit Hinweis auf eine aktuelle Studie aus Deutschland - und wagte zu «befürchten, dass Medienschaffende in der Schweiz kaum besser dastehen».

Bei ihren weiteren Ausführungen unterstrich die Journalistin, dass «die Informationsfunktion untrennbar mit Kritik und Kontrolle verbunden» sei. Sie verwies darauf, dass solch hohe Ansprüche in den Niederungen der journalistischen Praxis immer weniger umgesetzt würden. «Eine deutliche Mehrheit der Journalisten fühlt sich nach wie vor zwar der Informationsvermittlung verpflichtet, kritisieren wollen immerhin 60 Prozent, kontrollieren jedoch nur 30 Prozent», zitierte Mika weiter aus der Studie. «Wenn tatsächlich nur gut die Hälfte der Journalisten Kritik üben wollen», ist ihr berufliches Selbstbild nach Meinung der taz-Chefin «schlicht skandalös» - «nicht nur unter Demokratie-theoretischen Gesichtspunkten», sondern auch «an entscheidenden Punkten der journalistischen Existenzberechtigung», so Mika.

«Die Tageszeitung», die «dem linksalternativen Milieu in Deutschland eine Stimme geben sollte», habe dabei immer besondere Ansprüche an sich selbst gestellt, relativierte die «Tazlerin». Als Problem bei einem Teil der Medienzunft sieht Mika, dass dieser «über den Kontakt mit der Politik selbst Teil hat an der Macht». Im Zusammenhang mit Wahlkämpfen in Deutschland verwies sie auf die Mitwirkung am Machtkampf und auf «Medien als Macher, statt als Vermittler». Ferner kritisierte die Journalistin die immer häufiger verschwindende Trennung zwischen Werbung, PR und redaktionellen Inhalten und meinte, «in den Bereichen Reisen, Motor und Gesundheit kann man inzwischen durchaus von struktureller Korruption reden». Doch sie konstatierte auch, dass «sich in den letzten Monaten das Pendel zwischen professioneller Beobachtung und leidenschaftlicher Kritik wieder einzuschwingen scheint». Zur Wesentlichkeit des Medienberufs stellte sie abschliessend fest: «Kritik im Journalismus ist nicht alles. Aber ohne Kritik ist alles nichts.»

Markus Rohr, Mitglied der «Blick»-Chefredaktion, legte dar, wie die führende Boulevard-Zeitung der Schweiz ihre Kampagnen legitimiert. Nach Rohrs Ausführungen gehe es dabei mehr um Themensetzung bis Skandalisierung, mit solchen Kampagnen lasse sich jedoch «keine Auflage machen», wie dem Blatt häufig unterstellt werde. Über sein Konzept von Bescheidenheit und, jenseits aller Ansprüche, zwischen Minimalismus und Machbarem, sprach der Chefredaktor der «Berner Zeitung», Michael Hug. Seiner Zeitung gehe es um reine Information, auf Themenvermittlung, Orientierung oder gar Meinungsbildung komme es nicht so sehr an. «Welcher Pflichtstoff ist wirklich Pflicht», sinnierte der BZ-Chefredaktor genügsam; stattdessen «lieber dort besser werden, wos in unserer Macht liegt».