Beim zweiten Teil des Berner Medientags spannte Roger Blum von der Universität Bern einen weiten Bogen. Er erläuterte den «späten Abschied vom Vasallentum» und «die langsame Professionalisierung des Journalismus in der Schweiz». Als Voraussetzungen dafür nannte er Strukturen, Organisation und Rollen der Medienschaffenden: Zunehmend «unabhängige» Medien wie die Generalanzeiger, Radio/TV, Magazine usw. hätten sich hierzulande erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts entwickelt, nach dem «Verschwinden der von Parteien abhängigen Presse».
Journalisten als «Staatsdiener» und «Vasallen der Obrigkeit» seien von «Politikern» und «Vasallen der Parteien» abgelöst worden. Zu den «Merkmalen der Professionalisierung» gehörten gemäss Blum «eigene Berufsorganisationen, Ausbildungsstätten sowie eine eigene Berufsethik mit Selbstregulierung». Für den Medienwissenschaftler Blum, der als früherer Präsident des Schweizer Presserats auch als wandelndes Gewissen der Medienzunft gilt, «hat die Schweiz mittlerweile aufgeholt». «Professionalisierung bedeutet» nach Blum «mehr Autonomie und Distanz, aber auch mehr Eigenverantwortung».
Die blumsche Definition von «Autonomie» gab Anlass zu Anmerkungen bei der anschliessenden Diskussionsrunde. Die noch jüngere journalistische «Autonomie» könne allenfalls im Sinne einer «politischen Emanzipation» verstanden werden. Diese werde jedoch zunehmend durch neue Faktoren und Orientierungen ausgehöhlt. Als allzu gute Bekannte wurden dabei «Inserate, Werbung und die verstärkte Abhängigkeit von der Wirtschaft» genannt. Auch sehen sich Medienschaffende heutzutage mit einer «hoch professionalisierten PR» und deren «direkten Beeinflussungen konfrontiert».
Eine kritische Zwischenbilanz zog Nick Lüthi über neuere «Medienphänomene»: «Weblogs oder gängige Ansätze zum so genannten Bürgerjournalismus sind hochgradig selbstbezogen». Die Schweizer Blogger-Szene hält Lüthi schlicht für «autistisch». Auch ein neueres Credo der Zunft kam noch zur Sprache: «Wichtig ist nur, was die Leserschaft interessiert!». Doch ausser vagen Vermutungen und Unterstellungen wusste auch diesmal niemand zu belegen, was diese tatsächlich will. Als Fazit des diesjährigen Berner Medientags wehte durch den Saal: «Journalismus war früher nicht besser, aber anders.»
Sonntag
19.11.2006