Die 5. Bieler Kommunikationstage widmeten sich diesmal der Entwicklung des Informations- und Kommunikationsmarktes Schweiz. Bis letzten Freitag diskutierten Fachleute aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Medien und Werbung über die politischen und wirtschaftlichen Zukunftsaussichten der ICT-Branche, mit deutlich weniger Teilnehmenden als in den Vorjahren. Wolf Ludwig war für den Klein Report in Biel vor Ort.
Zur Eröffnung am Donnerstag mutmasste Bundesrat Hans-Rudolf Merz, dass der Schweizer Informations- und Kommunikationsmarkt seine Grenzen noch längst nicht erreicht habe. Er sprach von den Wechselwirkungen zwischen Informatik, Politik und Gesellschaft und zitierte eingangs eines der Standardwerke zur «Risikogesellschaft» von Ulrich Beck, der bereits 1986 feststellte: «Die Gestaltung der Zukunft findet versetzt und verschlüsselt nicht im Parlament, nicht in den politischen Parteien, sondern in den Forschungslabors und Vorstandsetagen statt.» In einem solchen Szenario beginne «die Nichtpolitik, die Führungsrolle der Politik zu übernehmen». Als Folge dessen werde «Politik zur öffentlich finanzierten Werbeagentur für die Sonnenseiten einer Entwicklung, die sie nicht kennt».
Nach Einschätzung des Bundesrats ist «der Informations- und Kommunikationsmarkt in der Schweiz längst nicht ausgereizt». Vielmehr würden «Bedürfnisse, Verfahren, Anwendungen und Produkte weiterhin rasant wachsen». Die Perspektiven dieses Marktes, gibt sich Merz überzeugt, «sind im wahren Sinn fantastisch». Die Nutzung des Internets «mutiert vom Statischen ins Interaktive». Und daraus entstehen nach Überzeugung des Finanzministers «laufend neue Plattformen mit ungeahnten Möglichkeiten für den Internetnutzer». Der ICT-Branche attestiert er jedenfalls «glänzende Aussichten» - frei nach dem Orange-Slogan «the future is bright».
Weniger rosig sieht Merz indessen «die Frage nach der Rolle von Gesellschaft und Politik», denn «mit fast jedem Fortschritt sind auch Gefahren verbunden». Mit erhobenem «Warnfinger» sieht der Bundesrat jedoch «Schattierungen und verschiedene Strategien» jenseits der «Kapitulation durch Laisser-faire» oder jener «der Kapitulation durch Verbote». Solche Strategien seien jedoch «abhängig von ethischen und politischen Anforderungen, die wir an uns selber stellen». «Wo es Fortschritt gibt», warnt Merz, «gibt es auch Missbrauch», und nennt in diesem Zusammenhang das ganze Arsenal von «biometrischer Erkennung, Wanzen, GPS, Video-Überwachung» bis zur «gläsernen Welt». Zu den «Gefährdungssymptomen im Staat» zählt Hans-Rudolf Merz auch «die Bedeutung der Informatik». Denn «die ganze Logistik (Strom, Wasser, öffentlicher Verkehr) und grosse Teile des Verwaltungsapparates werden über Informatik und Datenbanken abgewickelt», konstatiert der Bundesrat.
In der Wirtschaft stehen gemäss Merz «weniger Viren und technische Pannen» im Vordergrund. Jedoch würden «die Schäden aus Wirtschaftsspionage durch Cybercrime weltweit jährlich auf 40 Milliarden Dollar geschätzt - diese Summe entspricht dem schweizerischen Bundeshaushalt». Unter seinen drei Schlussfolgerungen nannte er zunächst den «Wachstumsmarkt» ICT mit seinen «enormen Entwicklungstempi». Jedoch müsse die «Technokratie» ihren «Blick für Chancen und Gefahren in Gesellschaft und Staat schärfen». Dazu seien nach Auffassung des liberalen Bundesrats auch so «verpönte Begriffe wie Rahmenbedingungen» notwendig.
Sonntag
29.10.2006